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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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kämpfen, Schafizadeh! Später erfuhr Großvater, daß Sarem od-Douleh mit denselben Worten einen anderen Bewerber aufgefordert hatte, für den gleichen Parlamentssitz zu kandidieren. Der frühere Gouverneur und Finanzminister führte nicht etwa einen politischen Plot im Schilde. Es war viel banaler und damit noch erniedrigender: Wie die meisten Isfahanis verteilte Sarem od-Douleh einfach wahllos Komplimente, ohne sich etwas dabei zu denken, aus Höflichkeit, aus Bequemlichkeit oder um sich gutzustellen mit dem jeweiligen Gegenüber. Bis zu seinem Tod ärgerte sich Großvater darüber, Sarem od-Douleh und den anderen Honoratioren geglaubt zu haben, den Basarhändlern, Geistlichen, Intellektuellen, Regierungsbeamten und politischen Führern. Weitere Namen nennt er nicht, sondern erklärt in einem Satz, der in dem himmelblauen Heft durchgestrichen, aber gerade noch zu entziffern ist, daß die freiheitlichen Kräfte seit der Konstitutionellen Revolution genug Zeit und Energie darauf verwendet hätten, schlecht über andere Mitglieder ihrer Bewegung zu reden. Nicht durchgestrichen ist der Vers des gepriesenen Saadi: »Wer wohlgefällig andrer Fehler vor dir aufgezählt, / sei sicher, daß er deine Fehler andern gern erzählt!«
    Politisch stand Großvater der Iran-Partei am nächsten, zumal deren Vorsitzender Ahmad Zirakzadeh aus Isfahan stammte und sie sich seit vielen Jahren kannten. Obwohl er nichts vom Sozialismus hielt und allen Grund hatte, sich vor der Bodenreform zu fürchten, bewunderte er auch die jungen Baghaí und Maleki von den »Werktätigen« und verkehrte mit ihren Parteimitgliedern in Isfahan. Wenige Verbindungen hatte er zu den religiösen Gruppierungen, die einen politischen Islam vertraten, aber da seine Frömmigkeit stadtbekannt war (der Bart!), akzeptierten sie ihn als Kompromißkandidat. Großvater beschreibt, wie er sich in Begleitung des Predigers Hadsch Scheich Abbasali Eslami, von dem er seit Jahren nichts gehört habe und dessen Gesundheit er sich vom Allmächtigen erhoffe, bei Ajatollah Kaschani in Teheran vorstellte. Dessen Stern war 1943 aufgegangen, als die Briten ihn wegen seiner Beziehung zu deutschen Agenten verhaften ließen. Zwei Jahre später hatte er das Gefängnis als Held verlassen. Wenngleich als Gelehrter nicht besonders angesehen, verfolgten die Großajatollahs in Ghom, die sich traditionell aus der Politik heraushielten, Kaschanis Aktivismus mit Wohlwollen, bot er doch den gottlosen Kommunisten Paroli und versprach, dem Islam wieder Geltung zu verschaffen in Iran. Kaschani führte die religiösen Gruppen in die Nationale Front, obwohl er sich mit Mossadegh nur in der Forderung nach Verstaatlichung des Erdöls einig war. Daß der Ajatollah auch die Restauration des Rechts, das Verbot der Koedukation oder die Bildung einer islamischen Internationalen verfolgte, mußte über kurz oder lang zum Zerwürfnis führen. Hinzu kamen seine Beziehungen zu den ersten islamischen Terroristen, den »Kämpfern des Islam«, die den antiklerikalen Ahmad Kasrawi und den Premierminister Abdolhossein Hajir ermordet hatten. Kaschani konnte jovial sein, witzig, aber auch barsch bis zur Unhöflichkeit. Er war ehrgeizig, machthungrig, kannte genausowenig wie Mozaffar Baghaí Skrupel, notfalls über Leichen zu gehen, wenn es für die Verwirklichung seiner Ziele notwendig schien, und schloß blitzschnell neue Allianzen – mit und gegen den Schah, mit und gegen Mossadegh, mit und gegen die Tudeh-Partei, mit und gegen die »Kämpfer des Islam«, mit und gegen Deutschland, Rußland, Amerika. Vielleicht weil er es in der klerikalen Hierarchie nicht sehr weit nach oben geschafft hatte, legte er um so mehr Wert darauf, von Politikern, den Vertretern des Palasts und ausländischen Gesandten mit Ehrfurcht behandelt zu werden. Für seine Beteiligung an der Nationalen Front hatte er sich das Amt des Parlamentspräsidenten ausbedungen, hielt es jedoch unter seiner Würde, an Debatten teilzunehmen, so daß er sich im Plenum von zwei Gefolgsleuten vertreten ließ und die Sitzungen des Präsidiums in sein Haus verlegte. Als Großvater ihn besuchte, war Ajatollah Kaschani bereits ein Greis, glatzköpfig unterm schwarzen Turban, hageres, grimmiges Gesicht mit langem weißem Bart auf den Photos. Der Prediger Hadsch Scheich Abbasali Eslami stellte Großvater als Kandidaten

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