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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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seinem Vater geerbt, von seinem Koranlehrer gepredigt und von Doktor Jordan vermittelt bekommen hatte. Die Jahre begannen, in denen er sich laut meiner Mutter in sein Zimmer zurückzog und wohl in Gedanken versank, für die der gepriesene Jean Paul Worte fand: »Warum legt sich noch im Alter, wo der Mensch schon so gebückt und müde ist, noch auf den untersten Stufen der Gruft das Gespenst des Kummers so schwer auf ihn und drückt das Haupt, in welchem schon alle Jahre ihre Dornen gelassen haben, mit einem neuen Schauder hinunter?« Was immer Großvater dennoch getan hat, seine Selberlebensbeschreibung setzt erst zehn Jahre später mit der Reise zu den Franken wieder ein.
    Auf der Internetseite, auf der sie registriert ist, habe die Gruppe der deutschen Schüler und Schülerinnen, die für den weißen Kandidaten schwärmen, 266 Mitglieder, erschrak die Ältere ihn am Vorabend der amerikanischen Präsidentschaftswahlen. So viele? Wie eine Zauberkünstlerin kostete sie seine Reaktion ein paar Sekunden aus, bevor sie hinzufügte, daß sich auch die Schüler zusammengeschlossen hätten, die für den dunkelhäutigen Kandidaten eintreten. Und wieviel Mitglieder haben die? wollte der Vater wissen. 7668! Heute wird nicht nur im großen Geschichte gemacht: Das erste politische Ereignis, das die Ältere und viele, wenn nicht die meisten Kinder ihres Alters bewußt erleben, an dem sie Anteil nehmen, ist die mögliche Wahl eines dunkelhäutigen Einwanderersohns zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Selbst auf dem Schulhof und am Telefon diskutierten die Zehnjährigen über Politik, das heißt, sie diskutierten nicht, sie waren sich einig, die Euphorie in der Familie vergleichbar nur für Frankreichs Nummer zehn, glasige Blicke der Kinder auf den Bildschirm, jetzt sei doch mal ruhig, Papa, doch während der Weltmeisterschaft nicht über Wochen und Monate. Kurz nach Mitternacht tritt die Ältere mit halbgeschlossenen Augen in die Wäschekammer und fragt, ob schon Hochrechnungen vorlägen. Im Fernsehen, wo man sich heute mit den unangenehmsten Menschen einig ist, sagten sie eben, daß nur sechs Prozent der Deutschen für den weißen Kandidaten stimmen würden, achtzig Prozent für den dunkelhäutigen. In Iran, auf der ganzen Welt wären die Zahlen ähnlich. Auch Großvaters gelehrtester Freund und seine Verwandten, die nickten, als der Enkel sagte, daß in Amerika Wahlen einen Unterschied machen können, haben heute die gleiche Hoffnung. Mossadegh, Vietnam, Allende oder Guantánamo sind Chiffren der Enttäuschung geworden, die den Glauben voraussetzt. Amerika wird seine Bewunderer auch morgen wieder enttäuschen. Aber heute nacht wird es sich die Bewunderung wieder verdienen, die die Enttäuschung erst möglich macht. Die Einmütigkeit sollte skeptisch machen, geschenkt, genauso wie all die kritischen Analysen der Reden, Berater und Programme des dunkelhäutigen Kandidaten ernstgenommen werden wollen, die bis nach China die Jubelberichte unterlaufen – ab morgen. Heute nacht kann Amerika wieder das Sehnsuchtsland werden wie für Mohammad Mossadegh, der auch ohne Kameras einen Halt in Philadelphia eingelegt hätte. Relativierung oder Kritik sei von ihm nicht zu erwarten, antwortete der Enkel dem Redakteur, aber wenn die Zeitung gegebenenfalls einen Jubelschrei abdrucken wolle – gern. Jubelschreien Sie, teilte der Redakteur die Hoffnung von Großvaters gelehrtestem Freund, aber mindestens hundert Zeilen à dreißig Anschläge lang bitte. Nicht nur darum geht es, daß der dunkelhäutige Kandidat in mehr als einer Hinsicht einer Minderheit angehört. Es geht um das Pathos, mit dem er für sein Land einsteht und es eben in seinem Anderssein zugleich verkörpert. Die Europäer mit ihrem Wahn, sich alles angleichen zu müssen, von dem sie sich auch sechzig Jahre nach ihren großen Kollektivierungskriegen nur mühsam befreien, werden noch weitere sechzig Jahre benötigen, um solche Lebensläufe hervorzubringen. Vielleicht auch nicht, vielleicht lernen sie ab heute etwas schneller, daß Identifizierung dort gelingt, wo sie nicht auf Identität hinausläuft. Das wäre ein guter Schlußsatz für den Artikel. 0:49 Uhr. In elf Minuten werden die ersten exit polls bekanntgegeben.
    Â»Im Frühjahr 1963 bin ich gemeinsam mit meiner treuen Gattin auf Einladung

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