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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Urlaub hinnehmen, bevor sich das Paar zur Hochzeit entschloß, was die traditionellen Moralargumente ad absurdum führte, aber an dem Triumph, daß sich die traditionelle Methode bewährt hatte, änderte das ausgedehnte Kennenlernen nichts. Noch heute weist die Mutter regelmäßig auf die gute Erfahrung hin, die der Orthopäde mit der elterlichen Eheanbahnung gemacht habe, wenn die Zukunft der Enkelinnen im Gespräch ist. Was die Moral betrifft, war sie ohnehin realistisch genug, um sich ins Unvermeidliche zu fügen. Manchmal konnte selbst der Jüngste nicht überhören, der noch den Kindergarten oder die Grundschule besuchte, daß seine Brüder in den Nachbarzimmern die sexuelle Revolution ausriefen. Die Libertinage, die sich in Europa im Laufe von zwei Jahrhunderten herausbildete, mußten sich die Eltern innerhalb einiger Jahre selbst einbleuen. Sie seien sehr wohl schockiert gewesen, wenn ihre Söhne ungeniert Freundinnen mit nach Hause brachten, bekräftigt die Mutter am Telefon, aber es sei nun einmal ihre Entscheidung gewesen, die Kinder im Land der Franken großzuziehen. Mit dem Vater sei sie übereingekommen, daß sie deshalb selbst die Konsequenz zu tragen hätten und nicht ihre Kinder dem Konflikt zwischen ihrem westlichen Lebensumfeld und den strengen iranischen Moralvorstellungen aussetzen dürften. – Hätte sich Ihre Vernunft auch dann gegen Ihre Erziehung behauptet, wenn Sie statt der Söhne Töchter im Land der Franken großgezogen hätten? fragt der Sohn, der sich am Montag, dem 3. November 2009, wieder das Headset aufgesetzt hat. – Das habe ich dir doch alles schon gesagt, antwortet die Mutter in Siegen. Daß Großvater das gewichtige Kapitel der elterlichen Eheanbahnungen überschlägt, überrascht nicht mehr; aber selbst nach den Maßstäben seiner eigenen Selberlebensbeschreibung dürfte in den Jahren zwischen 1953 und 1963 genug Bedeutsames geschehen sein. So verließen nicht nur meine Mutter und mein jüngerer Onkel, sondern auch viele andere Verwandte das Land, in dem sich Resignation breitmachte. Großvaters Pensionierung müßte ebenfalls in dieses Jahrzehnt fallen und somit der Beginn eines neuen Lebensabschnitts, in dem er sich vor allem um seine Dörfer und Ländereien kümmerte; auf deren Ertrag war er angewiesen, da seine Pension aus Gründen, die Großvater auch in der Selberlebensbeschreibung nicht nennt, ungewöhnlich gering ausfiel. Depressionen hätte er sich also gar nicht leisten können. Und selbst das Private: wenn ich das Alter meiner Cousins und Cousinen richtig veranschlage, kamen zwischen 1953 und 1963 die ersten acht seiner fünfzehn Enkelkinder zur Welt. Wer eine Selberlebensbeschreibung damit beginnt, ausführlich das Sterben seines Vaters zu schildern, dürfte die Geburt seiner Enkel nicht für unbedeutend gehalten haben. Daß Großvater das Jahrzehnt vollständig ausblendet, das auf den Sturz Mohammad Mossadeghs folgte, führe ich daher durchaus auf den Gemütszustand zurück, den meine Mutter ihm zuschreibt, mag sie auch das apathische Moment überzeichnen. Auch die letzte Anekdote, die er aus der Zeit Mossadegh erzählt, deutet auf seinen Grimm hin, der sich nicht einfach gegen den Schah oder die Briten und Amerikaner richtete, sondern gegen das eigene Land, die eigenen Mitmenschen und wahrscheinlich wie immer gegen sich selbst. Nach einer leidenschaftlichen und überzeugenden Rede des damaligen Bürgermeisters, eines Herrn Mostofi, der den mangelnden Gemeinsinn in Isfahan anprangerte und die Bürger aufforderte, Vorschläge für die Reform der Verwaltung einzureichen, beriet Großvater mit einigen Freunden, wie sie selbst zum Fortschritt ihrer Stadt beitragen könnten. Wie alt er sich bereits fühlte, ersehe ich daraus, daß er den Bürgermeister einen weißhaarigen Greis nennt, obschon dieser mit seinen sechzig Jahren nur so alt wie Großvater war.
    Daß ein Bürgermeister die Bürger zur Mitarbeit, mehr noch: zum Mitdenken aufforderte, bewegte vor allem Großvater als ältesten unter den Freunden, dem noch vor Augen stand, wie sich die Isfahanis vor Zell-e Soltan geduckt hatten. Er bot an, in seiner Freizeit die Finanzen der Stadt zu kontrollieren und Vorschläge zur besseren Buchführung zu unterbreiten. Die Freunde applaudierten und ebenso der Bürgermeister, der Großvater zu seinem

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