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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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der Geschichte. »Sent: 8-Nov-2008 00:20:33 Da nehmen wir safran und werfen linsen in den topf u sagen:» es sind die wohlen,die einfachen ding – die duften u strahlen von farben.Die hanz zufrieden machen.Auch die gedanken reinigen …u still ist einen wimpernschlag freude …überall. So grüße ich dich u deine Familie lieber freud –gute nacht*«
    Der Tochter stehen die Tränen in den Augen: vor Wut, weil sie mit der Heirat dem Wunsch der Eltern gefolgt ist; vor Enttäuschung, weil ihre Mutter sich so unvorstellbar borniert aufführt, auch aus Solidarität mit ihrem Mann, der sich abgerackert hat, damit sie diese bescheidene, doch saubere und für deutsche Verhältnisse keineswegs ärmliche Wohnung beziehen konnten, wie gesagt aus Scham und wahrscheinlich sogar realer Angst, wegen Ruhestörung angezeigt zu werden. Allein schon der bunte Tschador, den die Mutter partout nicht ablegen will, obwohl sie in Isfahan nicht einmal ein Kopftuch mehr trägt, wird am Hang gegenüber vom St. Marien genug böse Blicke auf sich ziehen. Der alte Herr hingegen, der das Temperament der Gnädigen Frau gewohnt ist, glaubt im Ernst, ihr den Begriff der Freiheit erklären zu können, der niemals absolut gesetzt werden dürfe, sondern notwendig dort seine Grenzen habe, wo die Freiheit der Mitmenschen eingeschränkt sei – »aber als ob sie auf mich gehört hätte«, wird er noch dreißig Jahre später seufzen. »Herr, ich brauche keinen philosophischen Vortrag«, wischt die Gnädige Frau seine Argumente beiseite, »mir ist selbst klar, was Freiheit bedeutet, ich weiß es besser als Ihr alle zusammen. Aber jetzt erklären Sie mir einmal, Herr, was der Unterschied zwischen dieser Wohnung, in die man unsere arme Tochter gesperrt hat, und einem Gefängnis ist? Nicht eine Stunde in Isfahan würde ich gegen tausend Jahre in Eurem erbärmlichen Deutschland tauschen. Hier können Maschinen wohnen, aber keine Menschen!« In diesem Augenblick tritt der Schwiegersohn lächelnd durch die immer noch offene Wohnungstür, in jeder Hand einen Koffer und Schweiß auf der Stirn. »Mir ist bewußt, daß das, was wir unseren lieben Eltern zu erklären haben, sie schmerzen wird«, schaltet er sich in die Diskussion ein, obwohl er allenfalls den letzten Satz der Gnädigen Frau gehört haben kann, »deshalb muß ich mich gleich zu Anfang entschuldigen. Das Leben in diesen Breiten weist eine Reihe von Unterschieden zu unserem Leben in Iran auf, die jeder, der hier neu eintrifft, kennen und …« – der Schwiegersohn kommt nicht dazu auszureden. Eine Zornesfalte auf der Stirn, fährt die Gnädige Frau Schwiegermutter ihn an: »Im Namen Gottes des Erbarmers des Barmherzigen, erst weist mich meine Tochter zurecht, als sei ich ein unartiges Kind, dann liegt mir mein Gatte wie üblich mit seinen philosophischen Mahnungen im Ohr, und jetzt meint auch noch unser herzallerliebster Herr Doktor Schwiegersohn, mich belehren zu müssen. Herr Doktor, weder möchte ich auch nur eine Stunde so wohnen müssen, wie Sie mit meiner bedauernswerten Tochter und meinen noch erbarmungswürdigeren Enkeln wohnen, noch habe ich Zeit, mir Ihre Lebensweisheiten anzuhören. Tun Sie Gott einen Gefallen und bringen Sie uns heute noch, jawohl, Sie brauchen gar nicht so zu gucken, Herr Doktor, bringen Sie mich auf der Stelle zurück zu dem Wasser und der Erde, die unsere Heimat sind.« Genau wie später die Tochter, die dann auch kein Zurück mehr kennen wird, steigert sich die Gnädige Frau erst recht heillos in ihren Zorn hinein, da jemand gewagt hat, sie beruhigen zu wollen. Der alte Herr wird sie in seiner Selberlebensbeschreibung weiterhin in direkter Rede zitieren und gut daran tun: »Genießen Sie doch selbst die großartigen Unterschiede, die das Leben in diesen Breiten aufweist, wenn Sie so genau darüber Bescheid wissen, aber lassen Sie die Leute in Frieden, die einem Stück iranischen Fladenbrot den Vorzug vor dieser ganzen Bärtchenschwenkerei namens Europa geben. Was ist denn dieses prächtige Europa anderes als Reden Sie leise, Gehen Sie langsam, Schließen Sie die Tür hinter sich, Ziehen Sie die Gardinen zu, Setzen Sie sich hin, Stehen Sie auf, Verhalten Sie sich unauffällig, Stellen Sie sich tot. Herrschaftswillen! Was soll das denn heißen, die Nachbarn könnten sich gestört fühlen? Ja

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