Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
meines lieben Schwiegersohns ins Land der Franken gereist, um mich einer genauen Untersuchung, eines Check-ups, wie man heute sagt, meiner körperlichen Zustände zu unterziehen, die durch eine zunehmende Mattheit und Gebrechlichkeit gekennzeichnet waren. Gemeinsam mit meiner treuen Gattin und von meinem lieben Schwiegersohn fürsorglich begleitet, flogen wir am Flughafen Mehrabad ab und landeten in Frankfurt. Dort erwartete uns meine geliebte Tochter mit den drei Enkeln, für die Gott gepriesen sei. Sie waren mit dem Auto gekommen. Nachdem wir uns stürmisch umarmt und geküßt hatten, brachen wir in Richtung ihres Wohnorts auf, einer kleinen Stadt namens Siegen ( z-y-g-n ).« Erstens: Es ist das erste Mal, daß er Großmutter mit einem Attribut bedenkt. Zweitens: Es ist das erste Mal, daß er eines seiner Kinder erwähnt. Drittens: Er scheint sich gar nicht zu wundern, daß meine Mutter Auto fahren konnte. »Meine Augenlichter hatten in jener Zeit, da sie noch in der Ausbildung standen, ihr Heim in einigen Zimmern eines mehrgeschossigen Hauses, gelegen in einem der vornehmeren Viertel der Stadt.« Viertens: Seine Augenlichter standen 1963 keineswegs mehr in der Ausbildung. Meine Mutter hatte ihr Studium der Literatur in Iran abgebrochen, und mein Vater arbeitete als Assistenzarzt im St. Marien, in das er vergangenes Jahr im Hubschrauber zurückkehrte. Die Wohnung lag auch keineswegs in einem wohlhabenden Viertel Siegens, sondern am Hang gegenüber des St. Marien, wo heute noch die Mietshäuser aus den fünfziger und sechziger Jahren stehen, keine arme Gegend, aber weit unter dem Standard, in dem Großvater seine Tochter großgezogen hatte. Ich glaube, Großvater schummelt hier hemmungslos, um sich die beengten Verhältnisse, die ihn schockiert haben müssen, schönzureden oder sie vor seinen Lesern zu rechtfertigen. Immerhin war mein Vater, soweit ich weiß, der Bräutigam seiner Wahl, nachdem meine Mutter sich in einen Hallodri verliebt hatte, den Großvater nicht einmal in Erwägung zu ziehen bereit war. Ich kenne die Geschichte nicht genau, meine Mutter hat sie uns nie erzählt, nur meinen Nichten. Ich weiß nicht viel mehr, als daß es ein wirkliches Drama gewesen sein muß, in der sicher überzeichneten Version für die Enkelinnen so leidenschaftlich und beinah so verhängnisvoll wie Romeo und Julia. »Sent: 5-Nov-2008 23:30:29 handy wird mal ein paar tag schlafen u wenn ich ich’s schaff geh ich an festnetz nummer folgt u –sonst band kuß« Als der Sohn die Mutter in Spanien fragte, ob sie in der Selberlebensbeschreibung von ihrer ersten Liebe erzählen würde, war sie noch unsicher wegen der möglichen Reaktion des Vaters. Sie trauere dem Mann nicht nach, versicherte sie, schon weil der sich bald als Alkoholiker entpuppte und es in seinem Leben, das sie offenbar durchaus verfolgt, zu nichts brachte; dessen ungeachtet sei das Thema heikel geblieben und die Empfindlichkeit des Vaters groß. Etwaige Reaktionen dürften sie nicht abhalten, redete der Sohn auf sie ein, sonst brauchte sie gar nicht erst anfangen. Abgesehen davon, wird es der Vater fünfundfünfzig Jahre später schon verkraften.
    Sicher war Großmutter nicht nur über die Wohnung enttäuscht. Sie hatte sich unter dem Land der Franken etwas Prächtigeres vorgestellt als eine dauerverregnete Kleinstadt im Mittelgebirge, die wegen ihrer Metallindustrie im Krieg weitgehend zerstört und eilig wiederaufgebaut worden war. »Sent: 7-Nov-2008 16:42:24 Heute äße ich gerne ein pesisches gericht –den reis der unten mit kartoffeln ist u rosinen hat –u da ich einen liebe, leider nicht mehr richtigen schwager hier kenn –will ich seine schwestern bitten so was für mich bald zu kochen –dann preise ich u rufe dich an ~~drücke deine familie …herzlichst ~« Großvater dagegen ließ sich leichter beeindrucken: Alle Straßen asphaltiert, viele Gebäude aus Beton, die Kanalisation unterirdisch, fließend warmes Wasser, das Bad gekachelt, Telefon und Zentralheizung eine Selbstverständlichkeit. Am besten freilich gefiel ihm als ehemaligem stellvertretendem Bankdirektor, der an den iranischen Zuständen verzweifelt war, na was wohl?, die deutsche Ordnung. Selbst die Häuserhöhen schienen einheitlich zu sein, schreibt er, und an den Kreuzungen, man stelle sich das vor, hielten die Autos an, wenn die

Weitere Kostenlose Bücher