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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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persönlichen Beauftragten ernannte. Den Kämmerer wies er an, Großvater Zugang zu sämtlichen Büros, Archiven und Kellern der Stadtverwaltung zu verschaffen. Nicht ein einziges Rechnungsbuch schlug Großvater auf, das korrekt geführt gewesen wäre: unvollständig, gar nicht oder von oben bis unten verkehrt ausgefüllte Seiten, die Summen über den Daumen gepeilt, falsch oder oft auch gar nicht berechnet. Im besten Fall hatte jeder Beamte sein eigenes System der Buchführung, in den meisten Fällen nicht einmal das. Ziffern waren durchgestrichen oder geschwärzt worden, die Aktenzeichen vollkommen beliebig, viele Daten widersprüchlich. Weil alles überall vermerkt sein konnte, erwies sich jede Suche als Glücksspiel. Großvater bat den Kämmerer, den aktuellen Kassenstand zu nennen. Das könne er nicht, wich der Kämmerer aus, das Geld sei gerade zur Bank gebracht worden. Und wieviel Geld war gestern in der Kasse? Die Abrechnung sei noch bei der Bank, antwortete der Kämmerer verlegen. Und vorgestern? Der Kassenstand würde gerade berechnet. Und letzte Woche? Die Berechnung müsse noch geprüft werden. Und letztes Jahr? Das könne er so aus dem Stegreif nicht sagen. Der Kämmerer müsse doch den Saldo des letzten Jahres beziffern können, rang Großvater um Fassung. Weder gab es einen Haushalt noch eine Bilanz, weder von diesem noch vom letzten oder den vorangegangenen Jahren, oder wenn es sie gab, wie der Kämmerer behauptete, konnte er sie in dem Chaos seiner Behörde nicht besorgen. Der gesamte Etat Isfahans, der drittgrößten Stadt des Landes, wurde wie eine Hosentasche verwaltet. Mitsamt einigen Haushaltsbüchern, die er zur Ansicht beilegte, übergab Großvater seinen Bericht dem Bürgermeister, der sich höflich bedankte und nie wieder meldete. Die Freunde fragten im Rathaus nach, welche Konsequenzen aus dem Bericht gezogen worden seien, erhielten aber keine Auskunft; sie baten um ein Gespräch mit dem Bürgermeister und erhielten keinen Termin. Zunächst nahm Großvater es noch mit stiller Wut hin, daß sich die Aufforderung zum bürgerlichen Engagement als Farce herausgestellt und er sich die Arbeit umsonst gemacht hatte. Einige Zeit später jedoch platzte ihm der Kragen, als der Gouverneur in einer Rede das Defizit im Haushalt der Stadt beklagte, das ihn dazu zwinge, entweder die Steuern zu erhöhen oder die Ausgaben der Verwaltung zu kürzen. – Herr Gouverneur! stand Großvater mitten während der Rede auf, Herr Gouverneur, bitte erlauben Sie! Das kugelrunde Gesicht des kleinen glatzköpfigen Herrn mit dem Stoppelbart wird rot gewesen sein vor Aufregung, ein Greis seinen eigenen Maßstäben nach. Öffentlich, das hatte er sich fest vorgenommen, öffentlich wollte er seine Stimme nie wieder erheben. Im stillen würde er sich bemühen, durchaus, hatte dem Premierminister einen Stock nach Teheran gebracht und viele Stunden in den Kellern und Archiven des Rathauses die Zahlenreihen geprüft, aber nie mehr würde er auf eine Bühne treten, von der man ihn herunterpfeifen könnte. Nun war es zu spät, er war schon aufgestanden, alle blickten zu ihm, manche Fremde, einige Freunde und noch mehr, die sich Freunde nannten und die er einmal Freunde genannt: Herr Gouverneur, bitte erlauben Sie – welcher Haushalt? Unsere Stadt hat keinen Haushalt! – Wie bitte? fragte der Gouverneur. Großvater schilderte erregt, aber offenbar sehr anschaulich seine Erfahrung als freiwilliger Rechnungsprüfer und wie die Verwaltung auf seinen Bericht reagiert habe, nämlich gar nicht. Soweit er es beurteilen könne, kenne die Stadt Isfahan weder ihre Einnahmen noch ihre Ausgaben, schloß Großvater: Auf welcher Grundlage könne der Gouverneur dann die Behauptung aufstellen, der Haushalt weise ein Defizit auf? Der Gouverneur sagte zu, die Vorwürfe zu prüfen. Weil sie leicht zu belegen waren, setzte er kurz darauf eine kleine Kommission ein, in die er Großvater berief. Briefe wurden verfaßt, die Großvater abdruckt, ein zehnseitiges Untersuchungsergebnis, aus dem er zitiert. Ob seine Vorschläge diesmal beachtet worden sind, verschweigt er. Es hätte ohnedies nicht viel gebracht. Wenig später wurde die Regierung Mossadegh gestürzt und mit ihr alle Hoffnung auf den Fortschritt der Vernunft und die Unabhängigkeit der Heimat begraben, die Großvater von

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