Dein Name
und Iustitia ausspuckte, die man sonst nur seitlich aus zehn, zwanzig Meter Entfernung sieht. Sie sind viel gröÃer, als ich von weitem angenommen hatte, und doch bis in ihre Psychologie genauso individualisiert wie Berninis Skulpturen in der Villa Borghese. Ich hatte nur ein paar Sekunden, weil die Dienstagsbegleitung schon zur Nekropole weiterlief und ich in dem Auflauf hinter der Absperrung die Gruppe zu verlieren drohte, auch dies eine Entscheidung, die Wand zu sehen, hinter der Petrus begraben sein könnte, statt den Anblick direkt unter einem der gewaltigsten Kunstwerke Roms auszunutzen. Es gibt Bedeutenderes, wurde mir bewuÃt, Bedeutenderes sogar als Bernini, ohne daà es petrographisch analysiert, forensisch vermessen und die Wahrscheinlichkeit von wissenschaftlichen Experten bis auf die Prozentzahl beziffert worden sein muÃ. Aber hätte die Sorgfalt, mit welcher der Priester â ein Priester! â das Für und Wider abwog, ob hinter den Steinen wirklich Petri Grab liegt, nicht dennoch GroÃvaters entschiedenen Zuspruch, ja seine Bewunderung gefunden, die sofort in die Scham über die eigene Leichtgläubigkeit übergegangen wäre? Weil mir die Kompetenz fehlt, das Thema zu vertiefen, kehre ich zur Beschreibung seines Lebens zurück.
Daà GroÃvater auf der Frankreichreise am liebsten in Kirchen gebetet habe, wie die Eltern oft erzählten und ich es auch deshalb hoffnungsfroh erwartete, weil es dem Jahr in Rom und den Besuchen bei den französischen Brüdern und Schwestern so gut entspräche, von denen ich nichts weiter schrieb, um abzuwarten, was GroÃvater schreiben würde, steht in seiner Selberlebensbeschreibung nirgends. Natürlich könnte ich mir ausdenken, was ihm durch den Kopf ging, wenn er in den Kirchen verschwand, was er erlebte, welchen Priestern, Nonnen und gewöhnlichen Gläubigen er begegnete; niemand hinderte mich daran, nicht einmal der Mutter fiele es auf. Allein, es steht mir nicht zu. Nur in Romanmanufakturen fügt sich alles zusammen. In der Wirklichkeit erschienen ihm 1963 die Gebete unter Christen, die ich 2008 für das Bemerkenswerteste seiner Reise hielt, vielleicht banal oder selbstverständlich oder haben ihn jedenfalls mehr als Kirchen die Gerichte beeindruckt. Die Gerichte? Ja, die Gerichte: »In jeder Stadt, die wir anfuhren, um dort einige Stunden oder ein, zwei Tage zu verbringen, begab die Gnädige Frau sich, sobald wir aus dem Auto stiegen, auf die Suche nach Kaufhäusern und ich mich auf die Suche nach dem örtlichen Gericht. In Siegen, wo wir uns unter allen Städten am längsten aufhielten und es am wenigsten zu sehen gab, verging kaum ein Tag, ohne daà ich im Gericht vorbeigeschaut hätte. Wer das Land der Franken noch nicht kennt, aber auch, wer es bereits kennt, dem muà diese Angewohnheit seltsam vorkommen. Er wird mir auch kaum glauben, daà ich in den meisten Städten Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz die Gerichte so leer vorfand, daà ich anfangs meinte, sie hätten geschlossen. Einmal zum Beispiel fuhr ich wegen einer Angelegenheit mit dem Zug von Siegen nach Frankfurt und fragte mich in einer MuÃestunde zum Gericht durch. Ich ging durch die leeren Korridore, klopfte an den Türen und öffnete sie vorsichtig, ohne ein Geschöpf anzutreffen. Auch im Treppenhaus, auf den Toiletten und in der groÃen Eingangshalle â weder Mensch noch Maus. Um so mehr erschrak ich, als endlich eine Stimme auf mein Klopfen reagierte. Was sie sagte, verstand ich nicht, doch weil sie nicht aggressiv klang, nahm ich an, daà ich eintreten durfte. Das Zimmer stellte sich als ein kleiner Verhandlungssaal heraus, in dem drei Männer saÃen. Auf englisch begrüÃte ich sie und stellte mich als iranischen Touristen vor, der sich für das deutsche Justizwesen interessiere. Sie hieÃen mich willkommen und deuteten auf einen leeren Stuhl. Gern nahm ich das Angebot an, mich ein wenig auszuruhen. Ihr Englisch war sehr holprig, aber ohnehin sprach niemand mehr ein Wort, weder sie noch ich. Ich sah auch keine Papiere auf ihren Tischen, keine Dokumente, keine Akten. Sie saÃen einfach nur stumm da, weder freundlich noch unfreundlich, weder gelangweilt noch interessiert. Was tun sie hier bloÃ? fragte ich mich: Und wie lange schon? Ich sollte es nicht herausfinden. Nach einer Weile entschuldigte ich mich für die Störung und verabschiedete mich.« Ich frage mich,
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