Dein Name
bärtige Satyrn jagen ebenso vollbusige wie leichtbekleidete Mänaden, der bocksbeinige Pan bläst die Flöte, in anderen Grüften Menschen und Hunde pharaonisch plattgedrückt und vor uns die Wand, hinter der Petrus begraben worden sein soll, in einer Nische ein kleiner Glasbehälter mit Knochenteilen, für deren Authentizität zwar kein Beweis, indes eine Reihe von archäologischen Indizien vorlägen, die auch dem jungen Beamten der Genfer Küstenwache zumindest als Anfangsverdacht genügt hätten: erstens an einer Mauer aus dem dritten Jahrhundert Anrufungen Christi, Mariens und des heiligen Petrus; zweitens hinter der Mauer ein Fach mit Gebeinen aus dem ersten Jahrhundert, die zum Skelett eines einzigen Mannes gehören; drittens das berechnete Alter des Verstorbenen von sechzig bis siebzig Jahren, die robuste Statur und die leicht überdurchschnittliche GröÃe von 1,66 Meter; viertens die fehlenden FüÃe, die bei der Herunterbringung vom Kreuz von den römischen Soldaten einfach abgeschlagen worden sein könnten; fünftens die mutmaÃliche Verehrung des Korpus, da in golddurchwirktes Purpurtuch gehüllt; sechstens die Inschrift Petros Eni , »hier ruht Petrus«, siebtens, achtens, neuntens schrieb ich nicht mehr mit â und nicht einmal der Priester unterbrach für einen Moment die Besichtigung, um ein Gebet zu sprechen oder sich zu bekreuzigen, was ich ihm nun nicht abnehmen konnte. Er sprach von Indizien, wo die Schiiten ohne zu fackeln einen Glitzerpalast bauen würden mit silbernem Gitter um den Sarkophag, auf dem ein grüner Seidenvorhang alle Zweifel bedeckte; schon wirkte allein das Betreten Wunder, die GroÃvater allerdings nicht meinte. Ohne daà der Zusammenhang zum Rest des Reiseberichts recht klar wird â vermutlich zwanzig Jahre später noch berückt von der Schönheit des Genfer Sees â, bittet GroÃvater um die Erlaubnis wessen auch immer, auf einer Seite darüber zu reflektieren, daà die Wunder, mit denen Gott seine Propheten versah, keines wissenschaftlichen Beweises bedürften. Es genüge, so will ich die Abschweifung einmal zusammenfassen, es genüge doch, die Schöpfung zu betrachten, die Einzigartigkeit eines jeden Menschen und Tieres, einer jeden Pflanze, um Wunder genug zu entdecken, die Wunder der Zivilisation, der Sinne, des Genusses, die Wunder der Liebe: »Wie kann die Wissenschaft erklären, daà nicht einmal die Handflächen zweier Menschen sich je gleichen? Wie kann sie erklären, was ein einzelner Mensch zu erschaffen und welche überwältigenden Gefühle er für einen zweiten Menschen zu hegen vermag? Weil mir die Kompetenz fehlt, das Thema zu vertiefen, kehre ich zur Beschreibung meines Lebens zurück.« Im Vatikan wird Gottes Spur petrographisch analysiert, forensisch vermessen und die Wahrscheinlichkeit von wissenschaftlichen Experten bis auf die Prozentzahl beziffert. Wie kein anderer religiöser Ort der Welt, den ich je besuchte, strahlen noch seine Hinterhöfe Seriosität aus, die Bibliotheken, Archive und das Mosaiklabor mit Büros, in denen die Menschen weiÃe Kittel über ihren Anzügen trugen, die schwarzgewandeten, meist gescheitelten Priester auf den StraÃen und in den Gängen wie Ameisen. Der absurdeste Glauben wurde zum gewissenhaftesten. â Unwiderlegliche Beweise, daà Petrus hier ruht, gab es nicht, gibt es nicht und wird es niemals geben, sagte der Priester in aller Deutlichkeit: Auch wenn vieles dafür spräche, fehle doch der Eintrag im Einwohnermeldeamt. Dann lachte er, als hätte er den Stipendiaten einen Kinderglauben genommen. Allein schon die Tafel am Eingang des Petersdoms, die seit Petrus alle 266 Pontifikate ohne Unterbrechung bis heute auflistet, ist religionsgeschichtlich einzigartig, nehme ich an. Solche Dauer, nicht imaginäre, behauptete oder rekonstruierte, sondern wirkliche, in Namen und Jahreszahlen, womöglich sogar Tagen dokumentierte Kontinuität, spräche allein schon für die katholische Kirche, da sie menschliche MaÃstäbe übersteigt. Den stärksten Eindruck des Tages hatte ich freilich wie in den anderen Gebäuden im Vorübergehen. Wir fuhren im Aufzug aus der vatikanischen Werkstatt hinab und kamen durch einen fensterlosen, betonierten Gang zu einer breiten Holztür, die uns nicht nur unverhofft im Petersdom, sondern genau unter Berninis Tugendallegorien Caritas
Weitere Kostenlose Bücher