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Bundes, »welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden«. Christi Tod entsühnt eine Welt, auf der Gottes Zorn liegt. Auch Hölderlin erwähnt den Zorn, wenn er vom Abendmahl spricht, doch ist es bei ihm die Welt selbst, die zürnt, und Christus erlöst nicht, sondern »erheitert«, besänftigt die Welt und macht sie fröhlich: »Denn alles ist gut. Drauf starb er. Vieles wäre / Zu sagen davon. Und es sahn ihn, wie er siegend blickte / Den Freudigsten die Freunde noch zuletzt.« Wenn ich Jesus in Rom mit Hölderlin in Beziehung setzen wollte, der den Messias in die Reihe der griechischen Göttersöhne Herakles und Dionysos stellt, hätte ich nicht Renis Kreuzigung zurechtbiegen dürfen, die für eine literarische oder religiöse Offenbarung ohnehin nicht taugt. Ebensowenig nützte es, Caravaggios GeiÃelung oder Grablegung zu betrachten, obwohl sie auch bei Tageslicht noch ergreifen: Selbst beim Himmelsgang konzentriert Caravaggio sich rein irdisch auf das, was Menschen sich antun. Gott als Täter oder Opfer ist bei ihm aus dem Spiel oder wie bei den Mystikern in allen Dingen. Um in Rom den Halbgott zu finden, den Hölderlin gemeint haben könnte, hätte ich mich mit dem Laptop vor Michelangelos Statue in Santa Maria sopra Minerva setzen müssen, die so frech ist, daà die Nachwelt das Geschlecht des Messias mit einem güldenen Lappen bedeckte: Jesus muskelbepackt wie ein antiker Heroe, in den Händen ein Pfahl, dessen Querbalken zu kurz ist, um daran mit ausgebreiteten Armen zu krepieren, aber lang und mächtig genug, um Mauern und Tore zu zertrümmern, Jesus als Sieger über den Tod und das Kreuz als seine Waffe: »Wenn nämlich höher gehet himmlischer / Triumphgang, wird genennet, der Sonne gleich / Von Starken der frohlockende Sohn des Höchsten. // Ein Losungszeichen, und hier ist der Stab / Des Gesangs, niederwinkend, / Denn nichts ist gemein. Die Toten wecket / Er auf.« Leider lernte ich Michelangelos Auferstandenen Christus mit dem Kreuz schon viel früher im Jahr kennen, als ich mich noch nicht mit Hölderlins Schönsten Gedichten begnügte und überhaupt ganz anderer Stimmung war, mit Jean Paul und jedesmal mit Familie oder Gästen, da der Kunstreiseführer Santa Maria sopra Minerva mit Sternchen versehen hat und sie praktischerweise gleich neben dem Pantheon liegt, so daà ich sie in jede Besichtigungstour mit Besuchern einbaue, zumal der Obelisk auf Berninis Elefanten auch bei Kindern reüssiert. »Denn noch lebt Christus«, hat Hölderlin mir daher an unpassender Stelle erklärt. Gewià hätte ich alle Freiheit eines Romanschreibers, nachträglich den Anschein einer Notwendigkeit zu wecken, indem ich die Lektüre des »Patmos«in Santa Maria sopra Minerva verlege, die allerdings wegen des Sternchens, des Obelisken auf Berninis Elefanten und der Nähe zum Pantheon immer so voll von Touristen ist, daà der Absatz dann aus anderen Gründen nicht stimmte. Es stimmt nie oder im besten Fall bei Hölderlin, daà alles ineinander greift, wie er Heiligabend 1798 an Sinclair schrieb: »Resultat des Subjectiven und Objectiven, des Einzelnen und Ganzen, ist jedes Zeugnià und Product, und eben weil im Product der Antheil, den das Einzelne am Producte hat, niemals völlig unterschieden werden kann vom Antheil, den das Ganze daran hat, so ist daraus klar, wie innig jedes Einzelne mit dem Ganzen zusammenhängt und wie sie beede nur Ein lebendiges Ganze ausmachen.« Könnte ein Ort überhaupt passend sein zu hören, zu sehen oder zu lesen, daà Christus noch lebtet? Die Satzteile sind im » Patmos« bis hin zur Grammatik so ineinander verschlungen, auch rhythmisch so unregelmäÃig, so pochend und atmend und eilend und anhaltend, daà man jeden einzelnen mit der Pinzette rauszupfen müÃte und immer noch nicht den Eindruck hätte, dem eigentlichen Geheimnis auf die Spur gekommen zu sein. In der zitierten Strophe etwa â »Wenn aber stirbt alsdenn« â wird die Bedeutung schon der Syntax nach bis in die nächste Strophe hingehalten; der dreifache Konditionalsatz, der jeweils mit »wenn« einsetzt, wird am Ende nicht fortgesetzt, sondern in seiner Dringlichkeit mit der Frage, was dies sei, nur weiter überhöht. Was Adorno als parataktisch bezeichnet, die aneinandergereihten, nicht synthetisch verbunden Bilder, die »in
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