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der mehr als jeder andere Bezugspunkt meine eigene religiöse Erziehung bestimmt hat, wie ich bei der Lektüre seiner Selberlebensbeschreibung erkenne, keine Rolle spielte, ja als Volks- und Aberglauben abgelehnt wurde, der die Menschen davon abbringe, die Welt zu verbessern, statt nur ihren Zustand zu beklagen. Reni verklärt nicht den Schmerz, den er nicht zeigt. Ihm gelingt, was andere Kreuzigungsbilder behaupten: Er überführt das Leiden aus dem Körperlichen ins Metaphysische. Sein Jesus hat keine Wunden, keine Abzeichen der Striemen und Hiebe, ist schlank, aber nicht abgemagert. Selbst wo seine Hände und FüÃe ans Kreuz genagelt sind, flieÃt kein Blut. Wären die Nägel nicht, es sähe aus, als breitete er die Hände zum Gebet aus. Er blickt in den Himmel, die Iris aus dem Weià der Pupille beinah verschwunden: Schau her, scheint er zu rufen. Nicht nur: Schau auf mich, sondern: Schau auf die Erde, schau auf uns. Jesus leidet nicht, um Gott zu entlasten, worauf es in der Sonntagspredigt hinausläuft, Jesus klagt an: Nicht, warum hast du mich , nein, warum hast du uns verlassen? »Doch furchtbar ist, wie da und dort / Unendlich hin zerstreut das Lebende Gott.« Die Landschaft ist christianisiert, so daà nicht die Menschen geschieden sind in Tätervolk und Opfervolk wie im Neuen Testament, sondern Himmel und Erde, Gott und die Menschen. Der Totenkopf am Kreuz deutet darauf hin, daà hier schon andere gestorben sind; die zeitgenössisch gekleideten Spaziergänger in verdüsterter italienischer Landschaft geben zu verstehen, daà auch jetzt gestorben wird; die Häuser im Hintergrund mit der Kuppel, die der Petersdom sein könnte, weisen auf die Stadt, aus welcher der Gekreuzigte zu stammen scheint. Dieser Jesus ist nicht mehr Sohn Gottes und kein Halbgott wie für Hölderlin. Gerade weil sein Schmerz kein körperlicher ist, nicht Folge denkbar schlimmster, also ungewöhnlicher, unmenschlicher Folterungen, stirbt dieser Jesus stellvertretend für die Menschen, für alle Menschen, ist er jeder Tote, jederzeit, an jedem Ort. Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauferstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint. »Wenn aber stirbt alsdenn, / An dem am meisten / Die Schönheit hing«, heiÃt es bei Hölderlin, dessen Schönste Gedichte ich ebenfalls aus dem Rucksack hole, weil ich vom »Patmos« nicht mehr als die zitierten Zeilen über den furchtbaren Gott auswendig beherrsche, »daà an der Gestalt / Ein Wunder war und die Himmlischen gedeutet / Auf ihn, und wenn, ein Rätsel ewig füreinander, / Sie sich nicht fassen können / Einander, die zusammenlebten / Im Gedächtnis, und nicht den Sand nur oder / Die Weiden es hinwegnimmt und die Tempel / Ergreift, wenn die Ehre / Des Halbgotts und der Seinen / Verweht und selber sein Angesicht / Der Höchste wendet / Darob, daà nirgend ein / Unsterbliches mehr am Himmel zu sehn ist oder / Auf grüner Erde, was ist dies?« Es ist dies eine Rede an den toten Christus zum Kreuz hinauf, daà kein Gott sei, und das Motiv, in dem sich die Antipoden kurz begegnen, Reni und Caravaggio, die an Gott der Mensch interessiert, und Hölderlin und Jean Paul, die den Menschen von Gott verlassen sehen. Allerdings stöhnt Hölderlin bereits mit der nächsten Strophe bejahend auf, wie ja auch Jean Paul die Vision des leeren Himmels sogleich als Alptraum entschuldigt und als Blumenstück verniedlicht, aber das Merkwürdige ist, daà man dem untergehenden Hölderlin die Theodizee abnimmt â »Und nicht ein Ãbel ists, wenn einiges / Verloren gehet und der Rede / Verhallet der lebendige Laut« â, während in Jean Pauls besten Jahren die Anklage das Idyllische enttarnt. Die Messe beginnt gleich, nein, jetzt, am Montag, dem 8. Dezember 2008, um 17:03 Uhr, klappe ich meine Allmacht besser zu und packe sie mitsamt des Kunstreiseführers sowie Hölderlins Schönsten Gedichten in den Rucksack. Die drei Gläubigen jenseits des Mittelgangs halten mich schon für bekloppt genug oder für einen besonders fleiÃigen Seminaristen, der sich um seine Mindestqualifikation bemüht.
Die Wolken sind noch immer in den Baumwipfeln verhakt, so daà ich gar nicht in den Himmel schauen könnte wie Renis Figuren. In Matthäus 26,28 fordert Jesus die Jünger auf, das Brot zu essen, denn es ist sein Leib, und den Wein zu trinken, denn es ist das Blut des
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