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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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der das Obst pflückt, die Pumpe ölt und die Kanäle säubert. So viel sei gar nicht zu tun, damit der Boden etwas abwirft; man müsse nur das Flußwasser ins oberste Becken pumpen, dann fließe es von selbst den Hang hinab. – Wir haben es also, fragt der Sohn sicherheitshalber nach, ausgerechnet diesem Präsidenten zu verdanken, den Gott im Juni von den Seiten der Geschichte tilgen möge, daß Tschamtaghi noch existiert? – Ja, so kann man es sehen, antwortet der Automechaniker, der allerdings eine Niederlage des Präsidenten bei den Wahlen für ausgeschlossen hält. – Kaufen Sie Tschamtaghi zurück! rät er der Mutter, der neue Besitzer suche händeringend nach einem Käufer, ein solches Stück Land gäbe es in ganz Iran kein zweites Mal, und kein Jahr, dann sähe es aus wie früher. – Ich bin doch schon über siebzig, gibt die Mutter zu bedenken, und alle meine Kinder und Enkel im Land der Franken.
    Auf der Fahrt zu den nächsten Tälern erwägen Mutter und Sohn dennoch den Preis, bei dem sie noch ein Geschäft machen würden. – Aber was willst du mit zwanzig Hektar Boden in Iran? fragt die Mutter. – Es sind nur zehn Hektar, sagt der Sohn und bringt die Brüder ins Spiel, die als Ärzte vermögend genug seien und ihren Kindern vielleicht eine Brücke bauen wollten, wer wisse denn, ob es im Land der Franken immer so sicher bleibe oder in Iran so unfrei. Ein Kino finden Mutter und Sohn weder in Kartschegan noch in Berendschegan, nur ein paar Geschäfte und Hinweise auf weitere Rap-Bands, alle Reisfelder ringsum verdorrt, dafür die Schule, die Großvater also doch gebaut hat – ja, wußtest du das denn nicht?, fragt die Mutter – obwohl er in der Selberlebensbeschreibung wie gewöhnlich nur das Scheitern des Vorhabens erwähnt. Allerdings ist sie nicht mehr nach Hadsch Mollah Schafi Choí benannt, sondern wie alle Schulen, Erholungsheime und selbst Freizeitparks mit Karussell, Riesenrad und Autoscooter nach dem Tod fürs Vaterland, als habe sich die Islamische Revolution an der deutschen Romantik berauscht: »Und zähle nicht die Toten! Dir ist, / Liebes! nicht Einer zu viel gefallen.« Zurück in Baghbadoran, leisten sich die Besucher noch einen Kebab, ohne daß die Mutter allzu entschieden auf ihren Kühlschrank verweist, der zum Bersten voll sei und sie bald zu Hause. Sie sei glücklich, sagt sie, während sie in der Frühlingssonne neben dem Grill auf den Kebab warten, wirklich glücklich, diesen Tag noch erlebt zu haben: Das verdanke ich dir. »Und vor der Türe des Hauses / Sitzt Mutter und Kind, / Und schauet den Frieden / Und wenige scheinen zu sterben, / Es hält ein Ahnen die Seele, / Vom goldnen Lichte gesendet, / Hält ein Versprechen die Ältesten auf.«

 
    Â 
    Fünf Kilometer vor der Abfahrt zum Flughafen von Teheran nickt der Fahrer ein. Der Fahrgast bemerkt es erst an dem Knattern, als der Reifen die linke Straßenmarkierung berührt, die Gott sei gepriesen auch auf iranischen Autobahnen präpariert ist, und sieht die gesenkten Wimpern. – Achtung! schreit der Fahrgast, der das Lieblingsmotiv der deutschen Romantik Nichtsahnend ging ich aus dem Haus, als plötzlich … lieber nicht auf sein Leben angewendet sehen will, Achtung!, und reißt das Lenkrad herum. – Sie sind heute meine letzte Fahrt, entschuldigt sich der Fahrer, als ob das ein plausibler Grund wäre zu sterben.
    Die ältere Tochter des Nachbarn pochte auf einen neuen Schreibtisch, weil der Stuhl und der Tisch zu klein geworden seien, die sie zur Einschulung erhalten hatte. Daß ihr die Einrichtung auch ästhetisch nicht mehr angemessen schien für eine Gymnasiastin, zu bunt und zu kindlich, vollzog der Nachbar nach, ließ er offiziell jedoch nicht gelten, da sie alle halbe Jahre eine neue Einrichtung fordern könnte, wäre das Geschmacksargument einmal etabliert. Wenn ihr etwas nicht gefällt, soll sie es sich zu Geburtstag, Weihnachten oder Nouruz wünschen; alle anderen Anschaffungen müssen sich funktional rechtfertigen wie der Roman, den ich schreibe, vor dem Agenten (in einer Minute die Handlung?, in zwei Worten die Zielgruppe?, drei Argumente für die Vertreter?, in vier Sätzen, was beim Leser hängenbleiben wird?). Seltsamerweise bestand die Freude der Älteren auf die neuen Möbel zu einem guten Teil darin, sie im

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