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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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schwedischen Kaufhaus zu besorgen, was funktional allemal gerechtfertigt war, weil weit und breit kein anderes Möbelgeschäft Tisch und Stuhl für hundert oder hundertzwanzig Euro anbietet, genau gesagt für 118 Euro, denn soviel kostete die Kombination, die sie sich im Katalog ausgesucht hatte. Den bekannten, oft genug herausposaunten, seit dem letzten Einkauf in Rom in Marmor gemeißelten Vorsatz des Nachbarn, nie wieder einen Lebenstag auf der Runde zwischen Schreibtischstühlen, unauffindbarer Kundentoilette und verlorenem Einkaufswagen zu verschwenden (zuzüglich der Tage für den Aufbau), mußte sie erst gar nicht brechen, da sie keck verkünden konnte, mit ihrer älteren Cousine zu fahren, die ihre neue Wohnung einrichtet. Daß der Nachbar seine Ältere trotz dieser Ausgangslage davon abbringen konnte, den Tisch billig zu kaufen, seinetwegen den Stuhl, seinetwegen die Tischbeine, aber stell dir nicht so eine Tischplatte aus Sperrholz mit Buchenfurnier ins Zimmer, lag nur am Schreiner, der die schöne Tischplatte im Büro angefertigt habe: Allein schon dessen Werkstatt wie in alten Filmen! Außerdem singe er beim Sprechen. Wie der Nachbar das meine, fragte die Ältere. Der Schreiner spreche ein besonders langsames, ein besonders weiches Rheinisch, verhieß der Nachbar. Und was, wenn die Tischplatte mitsamt Böcken und Stuhl mehr kosten würde als 118 Euro, wollte sie noch wissen. Lohne sich das wegen der Qualität, zerstreute er ihr letztes Bedenken und ist kurz darauf erleichtert, die Nummer im aktuellen Telefonbuch zu finden, denn vor drei Jahren war der Schreiner bereits achtundsiebzig und gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen. Theoretisch kann es auch der Junior sein, der den alten Schreiner bei der Lieferung der Schreibtischplatte begleitete, allerdings deutet der Vorname auf eine Taufe vor dem Krieg hin. Als der Vater am Donnerstag, dem 30. April 2009, anruft, meldet sich um 10:08 Uhr der Anrufbeantworter mit dem erwarteten Familiennamen des Schreiners. Der Vorname indes ist ein anderer, eindeutig erst nach dem Krieg geläufig geworden. Der Nachbar legt auf, um keine Minute später doch eine Nachricht zu hinterlassen. Obschon in der Ansage weder von einer Schreinerei noch von Öffnungszeiten die Rede ist, malt er sich aus, daß der Schreiner, dem schon der Einbau des Kühlschranks zu anstrengend gewesen war, sich nun endlich zur Ruhe gesetzt und den Betrieb dem Junior übergeben habe. Als der Nachbar auf den Anrufbeantworter spricht, daß er eine Tischplatte benötige, eine weitere Tischplatte, unterbricht ihn die Stimme, die nicht rheinisch spricht: Nein, die Schreinerei existiere nicht mehr, sagt der Junior im Tonfall dessen, der die Auskunft schon oft geben mußte. – Und Ihr Vater? – Ist verstorben, teilt der Junior mit und schweigt. Daß er das genaue Datum hinzufügt, kontrastiert seltsam mit der Sachlichkeit oder auch Emotionslosigkeit der Stimme. – Das tut mir leid, stottert der Nachbar und berichtet, als der Junior immer noch schweigt, daß er den Senior zwar nicht gut gekannt, aber auf Anhieb gemocht habe und mit der Tischplatte sehr zufrieden sei. Weil der Junior immer noch nichts sagt, fragt der Nachbar nach der Schreinerei. – Für immer geschlossen, antwortet der Junior. Der Nachbar wird der Älteren heute abend sagen, sie könne die Tischplatte billig kaufen. Um dem Schreiner einen Namen zu geben, haben die Eindrücke doch nicht genügt.
    Spielt der bisherige Titel auf die Toten an, um die es von der ersten Seite an geht, und ein wenig auf Baso Matsu, nennt der Romanschreiber den Roman, den ich schreibe, immer öfter auch Das Leben seines Großvaters , obwohl er an einen Großvater gar nicht dachte, als er begann. In der Urschrift taucht der Großvater gar erst auf Seite 743 auf, aber in der lesbaren Fassung verlegt er den Auftritt des Großvaters nach vorn, nicht sehr weit nach vorn, nur gerade so weit, daß auch diejenigen nicht zu früh aufhören zu lesen, die sich in einem Roman für die Handlung interessieren. Jean Paul braucht in manchen Romanen, die er schrieb, ebenfalls sehr lang, bevor die Handlung einsetzt; in den Biographischen Belustigungen etwa beginnt die annoncierte Geschichte, da ist das Buch schon zur Hälfte vorbei. Und die Vorreden erst! Es dürfte keinen Romanschreiber geben, der seinen Romanen so viele Vorreden vorangestellt hat wie Jean Paul, etwa im

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