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Abschnitte durcheinander, so daà die Zufälligkeit, mit der sich zwischen den beiden Manuskripten ein Zusammenhang gibt, ein weiteres Mal potenziert ist. Seit zwanzig Jahren habe er gesonnen, wie er eine Geschichte und ihre Abschweifungen so anordnet, daà sie gleichzeitig stattfinden, nun sei es ihm durch die Unachtsamkeit des Setzers gelungen: »Am Ende sollte ich mich eigentlich fast darüber erfreuen.« Jetzt erfährt die Frau, auf die die ehemalige Nummer zehn in Isfahan gewartet, daà Aladin erfroren ist, und weint wieder. Jetzt ist der Kommissar betroffen. Jetzt zwingt das Drehbuch mit seinen Luftgitarristen, kurz den Kanal zu wechseln. Auf Voice of America , das persischsprachig bei allen Verwandten läuft, spricht der Studentenführer, der 1999 auf dem Titelbild des Economist das blutgetränkte Hemd seines Kommilitonen hochhielt, über den Auftritt des Präsidenten, der im Sommer wiedergewählt wird, weil kaum jemand zur Wahl geht. Volk und Herrschaft scheinen sich miteinander abzufinden, nachdem sie Jahre genug versucht haben, sich gegenseitig zu verändern. Am Flughafen der immerhin drittgröÃten Stadt des Landes gibt es keine einzige Zeitung mehr zu kaufen, so wenig Leser finden die Nachrichten. Als seien es zwei verschiedene Manuskripte, die der Setzer aus Versehen für zusammengehörig gehalten und untereinander gesetzt hat, rühmt sich der Kulturminister im Haupttext damit, daà er mehr Bücher verboten und Moscheen renoviert habe als alle seine Vorgänger, werden unter dem Vorwand, daà sie Orte der Promiskuität seien, überall im Land Derwischklöster dem Erdboden gleichgemacht, in denen Männer und Frauen gemeinsam beten, und gibt es in Isfahan keine Wasserpfeifen mehr zu rauchen, damit die Geschlechter erst recht nicht in der Ãffentlichkeit beieinander verweilen; unterhalb der Linie tragen die Frauen auf den Skipisten, wo die Reichen unter sich sind, nicht einmal mehr Kopftücher und senden sogenannte »legale Auslandsstationen«, die in Wirklichkeit von Teheran aus senden und sich mit der Werbung iranischer Staatskonzerne finanzieren, amateurhafte Imitate der Schund- und Popstationen aus Los Angeles mit den gleichen Frisuren und Kleidern, nur daà die Moderatorinnen der Form halber ein Tuch über den Hinterkopf gelegt haben. Die Hüften schwingen sie genauso und plappern gutgelaunt den Schwachsinn aus Los Angeles nach. Anka Lea Sarstedt wirkt von Isfahan aus betrachtet so fern wie die Eltern, die in der Selberlebensbeschreibung der Mutter als zwei junge Leute auftreten. Besonders der Vater ist ein anderer, stürmisch bis zur Unverfrorenheit, eigensinnig im Extrem, groÃspurig und dabei so charmant, daà er die Wut, die er regelmäÃig in der Mutter hervorruft, stets wieder besänftigt. Die Tischgespräche, Gasthofsberichte und das Schnarchen eines Bettnachbarn, der die Nachtruhe stört, sind in zweihundert Jahren nicht relevanter geworden, auch jene Gedanken nur noch selten Blitzlichter, die Jean Paul unterhalb des Haupttextes ausbreitet. Vielleicht ist dem Leser Schmelzles Reise nach Flätz auch nur zu verworren, weil er in Isfahan den letzten Film zu sehen versucht, in dem Anka Lea Sarstedt spielte.
Als er längst keine Bauern mehr beschäftigte, blieb GroÃvater manchmal über Monate in Tschamtaghi, selbst im Winter. Abgesehen von seiner Scheu vor Menschen und der Gesellschaft, aus der Abscheu geworden sein mochte, wie die Mutter schreibt, hatte sein Beharren einen praktischen Grund: Er fürchtete, daà die Bauern in seiner Abwesenheit auch sein letztes Stück Land besetzen würden, das Plateau zwischen dem Neubau und der Lehmfestung sowie unterhalb des Hangs die ersten zwei-, dreihundert Meter des FluÃufers. An den Wochenenden besuchte ihn GroÃmutter mit den beiden Dienstmädchen, dem buckligen Waisenkind Baguli und der alten Mah Soltan, brachte Vorräte mit und kochte für den Rest der Woche vor. Oder blieb Mah Soltan bei GroÃvater? Die Mutter vermag es nicht mehr zu sagen, während sie und der Sohn auf der sechsspurigen Autobahn an Hochhaussilhouetten vorbeifahren, die mit Slogans wie Welcome to the Coastal City of the Zayanderud werben; sie weià nur, daà sie einmal, aus Deutschland eingetroffen, GroÃmutter und das Personal nach Tschamtaghi begleitete. Etwas war dazwischen gekommen, GroÃmutter erkältet gewesen oder vielleicht Mah Soltan, jedenfalls
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