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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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in der früher der Verwalter mit seiner Familie wohnte und vor dem Neubau Großvater mit dem ganzen Dorf. Wo die Schafe waren, wo die Hühner und wo der Esel. Wo das Kühlhaus und wo die Bienenstöcke, vor denen sich die Mutter in acht nehmen mußte. Die Böschung, hinter welcher der Sohn mit dem Gewehr des Verwalters auf Singvögel zielte und erblaßte, als einer vom Himmel fiel. Die Festung aus Lehm, die Hadsch Mollah Schafi Choí vor zweihundert Jahren errichtete, ist zur Hälfte eingestürzt, der Hof eine Müllkippe, und an den lauschigsten Stellen des Gartens liegen nicht nur Melonenkerne, sondern Abfälle, wie sie früher nicht einmal iranische Ausflügler hinterlassen hätten, Pizzakartons, Spritzen, Kondome. Gefällt worden sind die Platanen am Ufer und daneben der Wald aus schnellwüchsigem Weichholz, mit dem Großvater eine kleine Holzindustrie betrieb. – Einmal, sagt der Automechaniker, entdeckte ich Ihren Großvater, als er die Zweige abzusägen versuchte. Ich war ja noch jung, und er hatte nicht mehr die Kraft, nicht einmal mehr die Sehkraft, deshalb half ich ihm. Ich hatte Angst, daß er sich einen Finger abschneidet, und bat ihn, mich zu rufen, wenn er das nächste Mal etwas zum Sägen hatte. Er rief mich nie, aber Gott sei gepriesen habe ich ihn auch nicht mehr mit der Holzsäge gesehen. Der Teil des Grundstücks, den die Bauern besetzt hielten, beginnt dort, wo das Gestrüpp nicht mehr zu durchdringen ist. – Sie ließen den Boden verkümmern, damit Ihr Großvater endlich resigniert, erklärt der Automechaniker, als sei der Sohn zu jung, um sich zu erinnern. Sein Vater sei auch ein Bauer gewesen, aber keiner von denen, die zum Gebet stets hinter die Lehmmauer gingen, weil es auf besetztem Land nicht gültig gewesen wäre – Ihrem Großvater ist mehr Unrecht geschehen, als ein gerechter Gott zulassen dürfte, sagt der Automechaniker zum Sohn und bringt die Mutter zum Weinen. Als Großvater niemanden mehr gefunden habe, der für ihn arbeitete, und auch der Vater des Automechanikers sich nicht getraut, der immer gut behandelt worden sei, hätten die Armen der ganzen Gegend noch an das Eisentor geklopft. – Wieso haben Sie diese Leute nicht vertrieben? fragt der Automechaniker die Mutter: Vor Gericht haben Sie doch gewonnen. – Siebenmal haben wir vor Gericht gewonnen, übertreibt die Mutter wie gewöhnlich, siebenmal, aber ihr Vater sei schon zu alt gewesen, der eine Bruder bei einem Autounfall gestorben, der andere den Bauern nicht gewachsen, und die drei Schwestern hätten sich nicht einigen können. – Dann hätten sie es Ihren Kindern überlassen können, beharrt der Automechaniker. – Wir haben den letzten Wunsch meines Papas nicht erfüllt, gibt die Mutter zu: Er wollte, daß Tschamtaghi erhalten bleibt und nach seinem Tod die Armen der Gegend ernährt. – Einen solchen Ort verkauft man doch nicht, schüttelt der Automechaniker noch immer den Kopf. – Aber was hätten wir denn tun können? fragt die Mutter. Den größten Teil des Grundstücks habe die Familie nicht mehr betreten können, und selbst der kleine Rest sei so unsicher gewesen, daß sie sich nur bei Tageslicht und in Gruppen dort aufgehalten hätten. Das Haus sei auch schon geplündert gewesen, selbst die Heizkörper aus den Wänden gerissen. Als sich ein Käufer auftat, der am Ufer Ferienvillen bauen wollte, hätten die Geschwister deshalb nicht lang gezögert. Der Sohn möchte den Zaubertrick erfahren, mit dem der neue Eigentümer die Bauern vertrieb. – Ganz einfach, antwortet der Automechaniker: Er schenkte der Polizeiwache in Baghbadoran einen Toyota Van. Daraufhin seien mehrere Einheiten einschließlich eines Frauenkommandos angerückt und hätten nach zweitägiger Belagerung die Festung gestürmt, in der sich die Bauern mit ihren Familien verschanzt. – Und wo sind die Bauern jetzt? fragt der Sohn. – Haben eine solche Tracht Prügel erhalten, daß sie sich in zwanzig Jahren nicht mehr in die Nähe Tschamtaghis wagen. – Und die Villen? – Dürfen nicht gebaut werden, lacht sich der Automechaniker ins Fäustchen, weil die neue Regierung per Gesetz verboten hat, landwirtschaftlich genutzte Flußufer zu besiedeln. Solange der neue Eigentümer noch um eine Ausnahmegenehmigung kämpfe, habe er einen Arbeiter angestellt,

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