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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Enkel eines Isfahani, der 1963 von der europäischen Zivilisation, der Toleranz und der Freiheit so beeindruckt war, daß er einem der höchststehenden Geistlichen der damaligen schiitischen Welt vorschlug, die Bildungsreise nach Europa zu einer religiösen Pflicht zu erklären wie die Pilgerfahrt nach Mekka, eines Iraners, der an kaum einer Kirche in Frankreich vorbeilief, ohne ihre Architektur, ihre Kunstwerke zu betrachten, bis er sogar das schulmedizinisch belegte Stendhal-Symptom aufwies, eines Muslim, der häufig genug seinen Teppich, den er zusammengerollt stets mit sich trug, neben den Kirchenbänken ausbreitete, um nach dem Gebet mit den keineswegs erschrockenen oder gar ärgerlichen Pfarrern oder Nonnen zu plaudern – dessen in Deutschland geborener Enkel, der die Nerven seiner eigenen Familie strapazierte, weil er in Italien genauso selten an einer Kirche vorbeilief, ohne ihre Architektur, ihre Kunstwerke zu betrachten, und zwar keinen Gebetsteppich ausrollte, doch häufig genug auf der Kirchenbank betete und mit herzensguten Mönchen und Nonnen plauderte, dieser Enkel wird von einem Führer der katholischen und einem Führer der evangelischen Kirche beschuldigt, das Christentum geschmäht zu haben, wo er selbst meinte, dem Kreuz oder zumindest einer bestimmten Darstellung der Kreuzigung tiefer gehuldigt zu haben, als sich sonst jemand in einem deutschen Feuilleton traut oder es auch nur mit einem modernen Verstand für vereinbar hält; er wird zum Protagonisten eines Konflikts, der es zwei Tage lang und morgen womöglich wieder auf die Titelseite der Zeitung bringt, die ein Schuft gelegentlich aus dem Hauseingang klaut. Aber die Pointe: nein, ist nicht der Skandal, die Aberkennung des Preises, der dem Enkel als Vertreter des Islam verliehen werden sollte, die Pointe ist, daß sich in der Reaktion der Öffentlichkeit, in den beißenden Zeitungskommentaren, den Stellungnahmen aus allen Parteien bis hoch zum Parlamentspräsidenten, den Protesten aus der Kirche selbst und Dutzenden beschämter Zuschriften, die ihn seither erreichen – daß sich in der Solidarität mit einem Angehörigen der Minderheit ebenjene europäische oder in diesem Fall deutsche Zivilisation beweist, der Großvater in seiner Selberlebensbeschreibung also zu Recht ein Denkmal gesetzt hat. Stellen Sie sich vor, sagte der Romanschreiber wieder dem Vater, stellen Sie sich vor, in Iran hätte es ein Armenier oder, schlimmer noch, ein Bahai gewagt, seine Ablehnung der Aschura auch nur anzudeuten, an einem Kranwagen hätte man ihn gehängt und keine Zeitung widersprochen (um einen Einwand von vornherein auszuschließen, schilderte er den hypothetischen Fall besonders dramatisch). Und als sei das nicht Verwicklung genug, als wolle der Roman, den ich schreibe, das Moment der Absichtslosigkeit noch rot markieren, hat der Enkel den Absatz nur deshalb um die inkriminierte Ab- und Hinwendung zum Kreuz erweitert, weil er für den vorgesehenen Artikel zu kurz geraten war. Tatsächlich bezog sich die Passage auf das Kreuz des Bildhauers in München, das in seiner schlichten Anwendung des Muqarnas die Huldigung rechtfertigt, und schlug der Enkel sie für die Zeitung nur copy & paste Reni zu, um rasch die leeren Zeilen zu füllen. Hätte der Redakteur das Bild größer gedruckt, noch eine Filmrezension auf der Seite gequetscht oder eine Anzeige plaziert, müßte der Hausmeister keine Auffälligkeit beklagen. Dennoch folgt, was nur Zufall war, der Logik der Literatur, insofern es der Auftrag des Romanschreibers ist, sich kollektiven Zugehörigkeiten gerade zu entziehen, sie in Frage zu stellen, sie zu verwerfen. Auch wo ihre Motive religiös sind, ist Literatur niemals repräsentativer Ausdruck einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, sondern notwendig Zeugnis eines einzelnen, der sich im Glauben oder Unglauben, im Zweifel oder in der Erkenntnis mit transzendenten Erfahrungen, Texten und Traditionen auseinandersetzt – selten zur Zufriedenheit derjenigen, die qua Ausbildung und Amt diese Religion vertreten. Die drei Christus-Hymnen Hölderlins oder Jean Pauls Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei, um nur die nächstliegenden Beispiele anzuführen, sind Dichtungen, die von theologischen Fragestellungen durchdrungen sind und zugleich keinem tradierten Bild von Jesus entsprechen, ja sogar unter theologischen Gesichtspunkten

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