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höchst problematisch erscheinen. Sie sind Dichtungen gerade insofern, als sie sich nicht mit einer bestimmten Lehre, einer bestimmten Gemeinschaft identifizieren lassen. Der Romanschreiber hingegen ist für den Preis nicht allein für sein Werk nominiert worden, sondern als Repräsentant einer Religion. Daà er dafür in die Ãffentlichkeit gezerrt wird und der Hausmeister mit ihm schimpft, dient im Roman, den ich schreibe, seiner BuÃe und Belehrung. Die einzige Gemeinschaft, welcher der Romanschreiber angehört, ist weder Nation noch Konfession. Es ist die deutsche Literatur. Und sein FuÃballverein natürlich.
Natürlich â wir konnten doch nicht ahnen, wir hatten doch schon längst entschieden, wer hätte denn für möglich gehalten â habe die Wahl nicht das geringste mit der Aberkennung des Preises zu tun, versichert am Freitag, dem 22. Mai 2009, um 10:02 Uhr der Germanist, dessen Einladung gestern eintraf, im Sommersemester 2010 als fünfzigster nach Ingeborg Bachmann die Frankfurter Poetikvorlesung zu halten: Das ist nur ein Zufall. â Natürlich, murmelt der Poetologe ungläubig in den Hörer und kündigt mehr zum Scherz an, daà er dann wohl über den Zufall sprechen müsse. â Ãber den Zufall? fragt der Germanist. â Warum nicht über den Zufall? fragt der Poetologe zurück, der die Berufung ausgeschlagen hätte, wenn der Germanist einen Grund, einen anderen Grund genannt hätte für die Koinzidenz. Ans Pult, ans authentische Pult von Theodor W. Adorno, wie ihn der Einladungsbrief einschüchterte, möchte er nicht treten, nur weil ihn ein Führer der katholischen und ein Führer der evangelischen Kirche zum Christenfeind ausgerufen haben. â Interessant, sagt der Germanist und fügt nach einigen Sekunden hinzu: Ãber den Zufall hat in fünfzig Vorlesungen noch niemand gesprochen, glaube ich. â Dann wird es ja Zeit, freut sich der Poetologe, bereits einen Titel zu haben, als er um 10:07 Uhr auflegt. Oder vielleicht besser: von Ab- und Zufällen? Nein, nein, das Pult von Theodor W. Adorno ist kein Ort, um witzig sein zu wollen, das Heilige durchaus, der und die Heilige auch, aber kein Heiligtum. Also nur über den Zufall, jetzt giltâs, obwohl ausgerechnet Adorno dem Begriff miÃtraute. Wenn der Poetologe den Hörsaal betritt, wird er als erstes zum Pult schauen: Ob es wirklich das Pult, das authentische Pult Adornos ist? Er hätte einiges zu Adornos verstreuten Bemerkungen über den Zufall zu sagen, allein, für eine Entgegnung ausgerechnet am Pult, auf dem womöglich Adornos Manuskripte oder auch nur seine Zettel mit Stichwörtern lagen, ist die Ehrfurcht zu groÃ. Im Roman, den ich schreibe, hat jeder Tote einen Ort, an dem nur Gutes über ihn gesagt wird, wie erst eine Quelle der Nachahmung, die Adorno für den Poetologen geblieben ist. Möge seine Seele froh sein.
Daà er über Jean Paul und Hölderlin sprechen muÃ, stand fest, noch bevor er sich für den Haupttitel entschied, mit dem er schon wieder hadert. Eigentlich müÃte der Poetologe zunächst über Hölderlin sprechen und dann erst über Jean Paul, weil er im Roman, den ich schreibe, zunächst Hölderlin liest und erst sehr viel später Jean Paul. Indes hat er in seinem Brief vom 9. Juni 2009 an die Universität Frankfurt, ohne es zu bedenken, im Untertitel der Vorlesung zuerst Jean Paul genannt, weil sich klanglich dadurch ein Ausströmen von den beiden einsilbigen Namen Jean und Paul über das dreisilbige Hölderlin zur längsten Einheit ergab, und der Roman, den ich schreibe . Der Germanist in Frankfurt würde keinen Einspruch erheben, allenfalls sich über die Sophisterei wundern, wenn der Poetologe die Reihenfolge in einem zweiten Brief an die Universität Frankfurt schon am 10. Juni 2009 umkehrte. Was ihn daran hindert, mit Hölderlin zu beginnen, ist eben seine Poetik, die den Roman, den ich schreibe, stets anhält, dem zu folgen, was sich von selbst ergibt. Während er den letzen Satz schreibt, den er für das Pult Adornos bestimmt wiederverwerten wird, weil er alle seine Abfälle so oft verwertet wie möglich â den Besuch in San Lorenzo in Lucina allerdings einmal zuviel â, also am Mittwoch, dem 10. Juni 2009, um 22:08 Uhr im Büro, das wieder eine Wohnung zu werden droht, und dann wieder während des Sommersemesters 2010, denkt er,
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