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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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daß Der Roman, den ich schreibe vielleicht selbst der bestmögliche Titel sei für den Roman, den ich schreibe, so wie das Essen, das ich esse, den Schlaf, den ich schlafe, oder die Frau, die ich liebe. Nein, letztere hätte Baso Matsu wohl kaum als Beispiel für die Lehre des Zen-Buddhismus angeführt, doch ist ein Roman keine Religion und Poetik keine Theologie. Der Poetologe wollte keinen Roman schreiben ohne Frau, die geliebt wird, und überhaupt sind nur wenige Dinge in dem Roman heilig, den ich schreibe. Nicht einmal Hölderlin ist darin heilig, sondern wird bekanntlich auch einmal an die Wand geschmissen, was immer dazu in Frankfurt die Germanisten sagen werden. Nicht einmal die Toten werden geheiligt, nur an bestimmten Orten.
    Warum Jean Paul? Noch einmal der Reihe nach, schließlich ist es mehr als drei Jahre und noch in der lesbaren Fassung mehr als tausend Seiten her: Wie die meisten Seelenreisen begann auch der Roman, den ich schreibe, in einer Situation von subjektiv höchster, wenngleich in diesem Fall gewöhnlichster Not, die Liebe am Boden, die Frau und so weiter. Um einen Ort zu haben wie eine Höhle, nahm er sich freilich sehr nahe gelegen ein Büro, das eine Wohnung zu werden versprach. Ein Schreiner, der mit achtundsiebzig Jahren so alt war wie der Vater des Romanschreibers, fertigte eine Schreibtischplatte an und war so freundlich, vom Baumarkt zwei Malerböcke mitzubringen, auf die sie die Platte am 8. Juni 2006 legten. Von Jean Paul war hier noch keine Rede. Einige Zeit später, genau gesagt am 3. April 2007 in der Urschrift oder am 16. August 2006 in der lesbaren Fassung, mußte der Romanschreiber einen neuen Platz für seinen Bürocontainer suchen, weil an der Wand, wo der Container bisher stand, weitere Regale angebracht werden sollten, um auch die Bücher unterzubringen, die im Keller gelagert, seit er viele, viele Jahre zuvor mit der Frau zusammengezogen war, die er auch drei Jahre später noch liebt. Mit Hilfe des Studenten, der ihm gelegentlich aushilft, hob der Romanschreiber die Tischplatte hoch und tauschte einen der beiden Malerböcke gegen den Container aus. Da ein Container nicht die Höhe eines Malerbocks hat – wie viele Zentimeter der Unterschied beträgt, werden Sie großgeschrieben doch wohl nicht im Baumarkt überprüft haben –, war die Platte allerdings schief. Mit der Dünndruckausgabe von Jean Pauls Werken, die so viele Jahren schon im Karton gelegen hatte, daß der Romanschreiber überrascht war, sie zu besitzen, stellte er die Balance her und beeindruckte mit seinem genialen Einfall den Studenten, der mit Hilfe der Wasserwaage bestätigte, daß ein gewöhnlicher Bürocontainer zusammen mit dem ersten Band der Dünndruckausgabe von Jean Pauls Werken exakt die Höhe eines Malertischbocks hat. Während der Student das Regal anbrachte, holte der Romanschreiber die fünf anderen Bände von Jean Pauls Dünndruckausgabe aus dem Karton. Dabei stach ihm ein Titel ins Auge, Selberlebensbeschreibung , so daß er unweigerlich darin zu blättern begann. Nicht noch ein Hölderlin, stöhnte der Romanschreiber und stellte Jean Paul ins Regal, das der Student inzwischen angebracht hatte. Als der Romanschreiber eine je nach Fassung variierende Anzahl von Seiten und Tagen später durch die Kölner Innenstadt lief, um seiner älteren Tochter ein Handy zu kaufen, entdeckte er im Schaufenster eines Möbelgeschäfts Designer-Tischbeine, die um siebzig Prozent reduziert waren. Da der Kinderwagen seiner jüngeren Tochter, die zwischenzeitlich auf der Tischplatte gezeugt und drei Monate zu früh geboren wurde, eine Möglichkeit bot, den Einkauf zu transportieren, kaufte er die Tischbeine, die nach Aussage des Verkäufers kinderleicht anzuschrauben sein sollte, so daß er diesmal nicht den Studenten rufen würde. Als er im Büro, das immer noch eine Wohnung werden kann, die Tischplatte des alten Schreiners allein hochhob, holte er sich, nein, keinen Hexenschuß, sondern kam auf dem Bürocontainer der erste Band von Jean Pauls Dünndruckausgabe zum Vorschein, der die Höhendifferenz zum Malerbock ausgeglichen hatte. Wie zur Buße für die unwürdige Behandlung eines berühmten Dichters, der das Gewicht zwar nicht der ganzen, aber doch seiner Welt in Gestalt des Computers, der gerade gelesenen Bücher und bei einer Gelegenheit seiner Frau getragen hatte wie die

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