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sind sie, wollte der Romanschreiber schon erwidern, aber hob sich die Erklärung für den Artikel auf, den er aus dem Roman kopieren wird, den ich schreibe: Im Sommer 2006 geriet er in Umstände, die das Arbeiten, wie er es gewohnt war â man geht in sein Büro, schlieÃt die Tür hinter sich und schreibt oder liest am Tag mindestens acht Stunden, meist mehr â, unmöglich machten. Weder war er seelisch dazu in der Lage, noch hatte er überhaupt Zeit. Termine, die nicht er festlegte, zerstückelten seine Tage. Gleichwohl hatte er die Vorstellung eines Gedächtnisses, das er verrichten wollte, aber weil er nicht wuÃte, woraus die Handlung bestünde, begann er zu notieren, was immer ihn in dem Augenblick abhielt, in dem er seinen Laptop aufklappte und die Datei öffnete. Selten geschah das am Schreibtisch, häufiger in Krankenhausfluren, Wartezimmern, auf dem Schulhof, in Zügen, in Flugzeugen oder während er telefonierte. Ja, manchmal machte er sich Notizen, während er einem Radiosender live ein Interview gab, protokollierte heimlich private Gespräche oder schrieb Listen von Namen ab, die ihm nichts sagten. Er war überhaupt fast nie mehr ohne Computer unterwegs und wünschte sich zum vierzigsten Geburtstag eigens ein besonders kleines und leichtes Gerät, das in jede Tasche paÃt. Auch wenn er die pathologischen Züge nicht verkannte (tatsächlich war es eine Therapie, für die er sonst einen Psychiater gebraucht hätte), nahm er seine Sucht als eine Entlastung wahr. Die pathetischen Ausdrücke, mit denen der Romanschreiber selbst das Gefühl bezeichnete, hat er in der lesbaren Fassung gestrichen. Zuteil wurde es ihm, da er sich zum ersten Mal seit den Tagebüchern des Heranwachsenden, der sie in der Schublade einschloÃ, nicht an einen Leser wandte. Er verweigerte sich nicht nur einer späteren Veröffentlichung, sondern hintertrieb sie regelrecht, indem er mit Vorliebe Indiskretionen und Peinlichkeiten aufnahm, die bei Bekanntgabe sein bürgerliches Leben ruinieren sollten. Zwar sind die Enthüllungen weit harmloser, als es ihm selbst vorkam, bergen seine Existenz und seine Seele offenbar auch keine tieferen Abgründe als Existenz und Seele anderer gewöhnlicher Menschen, und würde er im Falle einer Veröffentlichung allenfalls die eine oder andere Unterlassungsklage riskieren, die auszufechten ihm selbst vollkommen lächerlich erschiene â doch zunächst half ihm das Konstrukt der Publikumsverweigerung, sich von dem Anspruch der Verwertbarkeit zu lösen, den er zunehmend als zwanghaft empfand. Zwischen 1999 und 2007 veröffentlichte der Romanschreiber beinah zwei Bücher pro Jahr, zugegeben Essays und Aufsatzsammlungen darunter, aber dafür zusätzlich unzählige Artikel, Reden und Vorworte, stieà Projekte an, eilte immer wieder für Wochen besinnungslos von Podium zu Podium, unternahm lange Reisen, forschte, lehrte und führte auÃerdem ein sogenanntes Privatleben, das seine regelmäÃigen Krisen und Grenzerfahrungen barg. Daà er dennoch so viele Veröffentlichungen vorzuweisen hat, weist auf einen Utilitarismus hin, an dem die Eitelkeit noch das literarisch Unbedenklichste ist. Erst als die äuÃeren Umstände noch das Mindestmaà an Kontinuität und Konzentration zunichte machten, das für sein Schreiben zwingend gewesen war, befreite er sich, und sei es mit Hilfe der Prämisse, daà er nur Abfall produziere, vom Leser. Nur so gelang es ihm, tatsächlich zu beginnen: indem er sich den Gedanken an ein Ergebnis, an eine Form oder Gattung, damit eine Ordnung verbat. Wie er sich dem hingab, was ihm die Tage brachten, entstanden die Bruchstücke eines Romans im Roman, der nicht beabsichtigt und als solcher äuÃerlich nicht unterscheidbar war von dem übrigen Abfall, gleichwohl er die Möglichkeit bald nicht mehr ausschloÃ, ihn später einmal herauszutrennen und gesondert herauszubringen. Ohne das Illusorische seiner Prämisse also länger zu leugnen, hielt er an ihr fest, da sich ihm scheinbar eine Möglichkeit aufgetan hatte, die Wirklichkeit angemessener zum Ausdruck zu bringen als wie bisher in Texten mit Anfang und Ende, innerer Logik und fortlaufender Handlung, dramaturgischen Eingriffen und stilistischer Kohärenz. Er meinte, zufällig dem Zufallsprinzip auf die Spur gekommen zu sein, das für jede religiöse und künstlerische
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