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jedem Kunstgarten des Zufalls. Aber mit einer Gottheit ist alles wohltuend geordnet und überall und in allen Abgründen Weisheit.« Als Dichter schafft Jean Paul eine Welt, in der es weder Zweck noch Ziel, noch Hoffnung gibt, nur eine zitternde Zukunft, ein ewiges Bangen vor jeder Dunkelheit und überall ein feindliches Chaos unter jedem Kunstgarten des Zufalls. In der Wirklichkeit hätte Jean Paul im Regal bleiben können, bis ich aus dem Büro wieder ausziehe. In dem Roman, den ich schreibe, war Jean Paul damit aufgetreten und muÃte er noch eine Bedeutung erhalten. Aus der Vorschule zur Ãsthetik , die ich erst zur Vorbereitung auf die Frankfurter Poetikvorlesung lese, der Romanschreiber aber schon früher, zitierte ich bereits Jean Pauls Mahnung, daà im Roman keine »Gegenwart ohne Kerne und Knospen der Zukunft zeigen« darf: »Jede Entwicklung muà eine höhere Verwicklung sein. â Zum festern Schürzen des Knotens mögen so viele neue Personen und Maschinengötter, als wollen, herbeilaufen und Hand anlegen; aber die Auflösung kann nur alten einheimischen anvertraut werden.« Gewià ist Jean Paul als Romanschreiber seinen auch spontanen Einfällen, Erlebnissen und Gesichten gefolgt, sind seine Abschweifungen tatsächlich Abschweifungen und nicht von vornherein geplante Handlungsunterbrechungen. Er schlief, wenn er müde war, und aÃ, wenn er hungerte. Wenn ein Ereignis, ein Gedanke oder auch nur eine UnpäÃlichkeit ihn ablenkte, dann erlaubte es die Form seines Romans, ebendieses Ereignis, den Gedanken oder auch nur die UnpäÃlichkeit zu schildern. Als Romanschreiber vertraut Jean Paul also Gott. Daà er dennoch sein Kamel anbindet, das hat der Germanist Herman Meyer bereits 1963 bis in die Komposita einzelner Metaphern nachgewiesen. Hinter dem, was dem Leser wahllos erscheint, stehen präzise Entscheidungen. Wie genau gefügt gerade das Ungefügte ist, läÃt sich anhand der Entstehungsgeschichte seiner Romane illustrieren. So ist die berühmte Verlesung des Testaments am Anfang der Flegeljahre , die viele Leser verwirrt, weil sie zuerst so prominent plaziert ist, im weiteren Verlauf jedoch über weite Strecken keine Rolle mehr spielt, ein sehr später Zusatz, der Jean Paul offenbar dazu diente, der Handlung den Anschein zu geben, auf ein Ziel gerichtet zu sein. In einen Zusammenhang mit allen oder auch nur den wesentlichen Vorgängen des Romans wollte Jean Paul das Motiv nicht bringen â kein Wunder, wenn ich vergeblich nach Zusammenhängen suchte. Jean Paul selbst macht sich über diese Verwirrung sogar lustig, wenn er einmal bedauert, daà der Leser die sechste Klausel des Testaments, die die neun Verpflichtungen des Erbens enthält, nicht auswendig beherrscht, weil auf dieser Klausel »doch gerade die Pfeiler des Gebäudes stehen«. Indem sich der Roman als unvollendet deklariert, spielt er mit der Möglichkeit, daà die Testamentsbedingungen in der Fortsetzung die Rolle spielen, die ihnen der Einleitung nach zukämen. Mindestens die früheren, noch ganz anarchischen, das Hier und Jetzt bis hin zum Glockenschlag der Turmuhr aufnehmenden Romane, Die Unsichtbare Loge , Hesperus, Flegeljahre , Siebenkäs oder Das Leben des Quintus Fixlein , beschreiben diese Welt nicht einfach in ihrer Unordnung, bilden sie nicht ab â sie sind das Paradox eines »Kunstgartens des Zufalls«, indem sie höchst willentlich vom eigenen Wollen lassen. Wo sich in den Romanen von selbst eine Ordnung ergibt, sind sie Offenbarung. In den Konzerten von Neil Young sind am meisten Ãbung, die gröÃte Geduld und die günstigsten Umstände nötig, damit er im Verlauf der Improvisation so auÃer sich gerät, daà er sich auf der Bühne verläuft wie Jean Paul in seinen Romanen, zwischen den Lautsprecherboxen umherirrt, hinter einem Kasten verschwindet, einem Verstärkerkasten wohl, mit geschlossenen Augen wiederauftaucht, über ein Kabel stolpert und mitsamt der Gitarre wie vom Blitz getroffen stürzt, als habe sich sein Herr dem Berge gezeiget. Man sieht nur den Rücken Werner Herzogs, sonst nur die Angehörige des aufgefressenen Bärenforschers, es ist ein Dialog, der nicht ausgedacht sein kann, Sekunden der gröÃtmöglichen Nähe und Mitmenschlichkeit, die nicht möglich wären ohne ehrliches Erbarmen, und zugleich mitgefilmt werden, mitgefilmt werden sollten,
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