Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
Krankenschwester. Eine Nadel glitt in ihren Arm. »Sie zeigt keine Reaktion …«
Sie war nicht in Hamburg.
Es war nur einer jener seltsamen Zustände gewesen, in denen Traum und Erinnerung sich miteinander verwoben und eins wurden, und sie meinte noch immer, zu zittern, Kälte und Regen zu spüren und Liannes wütenden Blick. Dann bemerkte sie wieder die Nähe der Krankenschwester, vernahm ihre Stimme. »Jetzt … sie kommt zu sich.«
Sie grub ihre Finger in die Bettdecke und lauschte auf das leise Surren der Geräte im Raum, um die Bilder zu vertreiben, die so lebhaft vor ihrem inneren Auge standen. Irgendwo klappte eine Tür, sie hörte Schritte, leise Stimmen, dann war wieder Ruhe. Auf der Intensivstation gab es keine Intimität. Sie lag in ihrem Bett wie auf einem Präsentierteller, sichtbar für jedermann, der auch nur zufällig vorbeikam. Die meiste Zeit dämmerte sie vor sich hin, zu müde, um daran Anstoß zu nehmen, aber in den wachen Momenten wurde der Wunsch, allein zu sein, und das Verlangen nach ungestörter Ruhe übermächtig. Wieder klappte eine Tür. Gleich darauf berührten Finger ihre Wange, Lippen flüchtig die ihren. Ohne dass sie die Augen öffnete, wusste sie, wer es war. »Bring mich hier weg«, flüsterte sie.
41.
U lf blickte in Carolines durchscheinendes Gesicht und auf ihre blassen Lippen. Ihr leises Flüstern klang ihm im Ohr. Bring mich hier weg.
»Was ist passiert?«, herrschte er den jungen blonden Arzt an.
»Ihr Zustand hat sich plötzlich verschlechtert, aber wir konnten sie aus dem Koma zurückholen.«
Das war nicht alles, er merkte es an der Art, wie Torben Lund auf die Geräte sah und damit seinem Blick auswich.
»Was ist mit ihr?«
Lund straffte seine Schultern. »Akutes Leberversagen, daraus resultierend eine Niereninsuffizienz.«
Ungläubig starrte Ulf den Mann an. »Aber sie war auf dem Weg der Besserung, sie …«
»Du musst dich damit abfinden«, sagte Lund.
»Das glaube ich nicht.« Ulf war fassungslos. »Gibt es nichts, was wir tun können?«
»Wir könnten sie an die Dialyse anschließen, aber ihre schlechte Gesamtverfassung schließt die nötige Lebertransplantation aus. Wir können den Tod hinauszögern, mehr nicht. Tut mir leid.«
»Und wenn wir sie in ein größeres Krankenhaus verlegen?«, schlug Ulf vor, als er sich an sein Gespräch mit Håkan erinnerte. »Nach Stockholm?«
Der Arzt schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir haben fest daran geglaubt, dass wir sie durchkriegen, aber die Gefahr eines Leberversagens aufgrund des schweren Medikamentenmissbrauchs bestand die ganze Zeit.« Ärzte wurden umso sachlicher, je schlechter die Nachrichten waren, die sie zu überbringen hatten. Es war ein Schutzmechanismus, der Ulf nur zu vertraut war.
»Wie lange?«, versuchte der Polizist in ihm die Führung zu übernehmen, der gewohnt war zu analysieren, weiterzumachen, selbst wenn es hoffnungslos schien.
»Vielleicht zwei, drei Wochen, aber nur unter intensivmedizinischer Betreuung.«
Caroline öffnete die Augen und sah ihn fragend an. Ulf schluckte. Verdammt, sie standen an ihrem Bett und sprachen über ihren Tod. Er rang um seine Fassung. Er würde sie verlieren, egal wie sehr er sich dagegen auflehnte, egal, was er tat. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Ich bringe dich nach Hause«, versprach er leise. Erleichterung streifte ihre Züge, gefolgt von einem flüchtigen Lächeln, und er zwinkerte die Tränen fort, die in seinen Augen standen.
Björn wartete vor der Station, und ihm genügte ein Blick in Ulfs Gesicht, um zu wissen, wie es stand. Wortlos legte er einen Arm um die Schultern seines alten Freundes.
»Lass uns an die frische Luft gehen«, bat Ulf.
Schweigend lehnte er sich Augenblicke später an die Außenwand des Krankenhauses und blickte über das verschneite Gelände. Wie viel Zeit blieb ihm noch?
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte er schließlich zu Björn. »Ich habe Lilli versprochen, sie nach Hause zu bringen.«
Björn senkte den Blick. »Gibt es nichts, was man tun kann, um ihr Leben zu retten?«, fragte er nach einer Weile.
Ulf schüttelte den Kopf.
Lange sprach keiner von ihnen. Die Kälte kroch an Ulf empor und in ihn hinein, aber er spürte es kaum. Er wusste, er sollte bei Caroline sein, gerade jetzt durfte er sie nicht allein lassen, aber er spürte auch, wie seine Verzweiflung in Wut umzuschlagen drohte, er musste erst zu sich kommen, ruhig werden. Nur so konnte er ihr den Beistand geben, den sie brauchte.
»Ich
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