Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
hat ihre Tochter überfahren und Unfallflucht begangen. Die junge Frau ist gestorben.«
Mette presste die Lippen zusammen. Er wusste, dass sie in diesem Moment an ihre eigenen Töchter dachte und daran, wie sie in einem solchen Fall reagieren würde.
»Die junge Frau war so alt wie Lotta.«
»Ja«, erwiderte sie leise. »Ist es sicher, dass sie es getan hat?«
»Kein Richter stellt einen internationalen Haftbefehl aus, ohne stichhaltige Beweise zu haben, aber sicher …« Er schüttelte den Kopf. »Nein, sicher ist es natürlich erst, wenn sie die Tat gesteht.«
Mette setzte ihre Wanderung im Zimmer fort. »Du hast Angst, dass Ulf ihretwegen eine Dummheit begeht.«
»Wenn du ihm an jenem Morgen gegenübergestanden hättest, würdest du meine Sorge teilen«, erwiderte Håkan. »Soweit ich feststellen konnte, hat Ulf sie all die Jahre nicht gesehen.«
Wieder blieb Mette stehen und sah ihren Mann an. »Ich kenne Ulf so lange wie du. Er ist ein erwachsener Mann von fast fünfzig Jahren. Und er ist durchaus ein Pragmatiker. Er wird nichts riskieren für etwas, das so weit zurückliegt.«
»Ich fürchte, da liegst du falsch. Ich hatte ihm den Haftbefehl geschickt und ihn gebeten, sich der Sache anzunehmen, bevor ich überhaupt wusste, dass es eine Verbindung zwischen ihm und Caroline Wolff geben könnte.«
»Und? Hat er ein Wort darüber verloren, dass er sie kennt?«
»Nein. Er hat mir gestern Nachmittag lediglich gemailt, dass sie bereits abgereist sei. Er selbst wollte heute nach Stockholm zurückkommen.«
»Du glaubst ihm nicht.«
»Nicht nach allem, was ich inzwischen erfahren habe«, gab er zu.
»Ich kann deine Sorge verstehen.« Mette legte ihre Hand auf seine Schulter. »Unter normalen Wetterbedingungen wärst du vermutlich längst auf dem Weg nach Härjedalen.«
Håkan seufzte. »Darauf kannst du wetten. Ich möchte weder meinen Freund noch meinen Vorgesetzten verlieren.«
17.
U lf schaltete das Radio ab. Die Stille, die folgte, war bedrückend. Lange Zeit sagte keiner von ihnen ein Wort. Schließlich stand Caroline auf, stützte die Hände auf die Lehne ihres Stuhls und fragte: »Eier zum Frühstück?«
Die Frage kam so unverhofft, dass er sie zunächst irritiert ansah, doch dann erfasste er die Zwischentöne, die Bedeutung des leicht spöttischen Tonfalls: Die Umstände sind schwierig genug, lass uns möglichst normal miteinander umgehen.
»Ja, warum nicht«, erwiderte er, obwohl er noch immer überrumpelt war von der unerwarteten Entwicklung der Geschehnisse. Bis vor wenigen Stunden hatte er geglaubt, mit allem abgeschlossen zu haben. Er war fest entschlossen gewesen, an diesem Morgen zurück nach Stockholm zu fahren und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Er hatte nichts mehr hören wollen über seine Tochter, über Caroline, nicht mehr über ein Leben nachdenken wollen, das er nicht gelebt hatte. Der Schritt war ihm nicht leichtgefallen, doch er hatte erkannt, dass er der Situation nicht gewachsen war. Er besaß keine Kontrolle mehr. Vor allem nicht über seine Emotionen. Es schien ihm, als hätte er in den vergangenen zwei Tagen häufiger die Beherrschung verloren als in den letzten zehn Jahren.
Ungeachtet des Sturms hatte er sich deshalb am Morgen mit dem ersten Licht auf den Weg ins Dorf gemacht, wild entschlossen, sich von nichts und niemandem von seinem Entschluss abbringen zu lassen. Doch er war nicht einmal bis zur Straße gekommen. Er hatte Caroline nichts davon gesagt. Es wäre einem Eingeständnis seiner Schwäche gleichgekommen. Aber er hatte begriffen, dass jeder Versuch, sich der Vergangenheit zu entziehen, nur dazu führte, noch tiefer hineingezogen zu werden. Er sah aus dem Fenster, auf den Schnee, der draußen wirbelte. »Es sieht ganz so aus, als hätten wir jetzt eine Menge Zeit zum Reden«, sagte er.
Caroline stand am Herd. Sie trug wieder ihre alten Jeans und einen weiten Pullover, ihr Haar hatte sie aufgesteckt wie am Vorabend. Bei seinen Worten wandte sie sich um, den Bratwender in der Hand. Lag Überraschung in ihrer Miene? »Wo fangen wir an?«, fragte sie.
Er verschränkte seine Hände auf dem Tisch ineinander. »Erzähl mir von … Lianne«, bat er. »Wie war sie?«
Sie schluckte. »Willst du das Foto sehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Erzähl mir erst etwas über sie.«
»Sie war jähzornig wie du.«
Er senkte den Blick und lächelte verlegen.
Caroline lächelte ebenfalls, als sie es bemerkte. »Als sie geboren wurde, habe ich gedacht, ich
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