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Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Dein totes Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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Jacke aufhängte.
    »Mein Kollege Håkan behauptet immer, meinem Schutzengel würde nie langweilig werden.«
    »Dann hast du dich in all den Jahren wohl nicht verändert.«
    Er lächelte, sagte aber nichts, und sie spürte, wie ihre Nervosität zurückkehrte. Sie musste etwas tun, sich ablenken. »Hast du schon gefrühstückt?«, fragte sie.
    »Nur einen Kaffee.«
    »Dann mache ich uns was«, schlug sie vor. Draußen krachte es erneut, und für einen Moment flackerte das Licht. Sie verharrte in ihrer Bewegung und schluckte vor Aufregung. »Weißt du, wie lange der Sturm anhalten soll?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wir haben keinen Mobilfunkempfang, nicht ungewöhnlich bei dem Wetter, und der Fernseher funktioniert auch nicht …«
    »Der Fernseher ist kaputt«, unterbrach sie ihn und fragte sich, was er sonst noch probiert und gesucht hatte, während sie geschlafen hatte. »Aber irgendwo müsste ein Radio sein.« Sie eilte ins Wohnzimmer und versuchte, nicht daran zu denken, dass der letzte Schneesturm, den sie in diesen Bergen erlebt hatte, drei Tage gedauert hatte. Wie sollte sie drei Tage mit Ulf unter diesen Bedingungen ausharren? Sie öffnete den einzigen Schrank im Raum, ein altes Ungetüm aus Eiche, in dem ihr Vater alles aufzubewahren pflegte, für das er keinen anderen Platz gefunden hatte. Sie blickte auf die Rücken alter Fotoalben, auf Kisten mit unbekanntem Inhalt, auf alte Ferngläser, einen antiquierten Fotoapparat und, tatsächlich, ganz hinten im zweiten Bord von unten, stand das Kofferradio. Ein Relikt aus den sechziger Jahren, lindgrün und stoffbespannt.
    Ulf blickte skeptisch auf das Gerät, als sie damit in die Küche zurückkehrte. »Du meinst, das funktioniert noch?« Er nahm es ihr ab und betrachtete es mit gerunzelter Stirn. »Kann es sein, dass es früher hier in der Küche stand – als wir Kinder waren?«
    Wehmut ergriff Caroline, als sie sah, wie er es in den Händen drehte und seine Finger über die Knöpfe strichen. »Meine Mutter wollte es wegschmeißen, nachdem meine Eltern die Küche renoviert hatten«, bestätigte sie seine Vermutung. »Ich glaube, sie fand es schon immer scheußlich, aber mein Vater konnte sich nicht davon trennen. Er hat es in seinen Schrank gestellt und manchmal rausgeholt, wenn wir allein waren …« Sie verstummte in der Erinnerung an einen friedlichen Sommertag, an dem sie im Badeanzug vom See gekommen war und ihr Vater auf der Veranda gesessen hatte, eine Pfeife im Mundwinkel und das Radio auf dem Tisch, aus dem blechern die aufgeregte Stimme eines Sportreporters dröhnte, der ein Fußballspiel kommentierte. Es musste irgendeine Welt- oder Europameisterschaft gewesen sein. Sie war damals sicher nicht älter als fünf oder sechs Jahre gewesen. Sie hatte sich zu ihrem Vater gesetzt und zugehört, wenn sie auch kaum begriffen hatte, wovon gesprochen wurde, und ihr nasser Badeanzug hatte auf dem alten Holzstuhl dunkle Flecken hinterlassen, während die Sonne sie allmählich getrocknet hatte. Die Luft hatte nach Harz gerochen und dem würzigen Pfeifenrauch. »Kommt es dir manchmal auch so vor, dass die Sommer früher wärmer gewesen sind als heute?«, fragte sie unvermittelt und wischte sich hastig die Tränen von den Wangen.
    Ulf sah überrascht auf. »Du meinst, als wir Kinder waren?«
    Sie nickte.
    »Wie kommst du jetzt darauf?«
    Sie zuckte mit den Schultern, nicht bereit, ihre Erinnerung mit ihm zu teilen.
    »Ich glaube nicht, dass die Sommer früher wärmer waren«, überlegte er ernsthaft. »Aber vielleicht nehmen wir sie in unserer Erinnerung so wahr, weil wir sie als Kinder unbeschwerter erlebt haben … mehr als gegebenen Zustand denn als eine Aneinanderreihung von Wetterprognosen und Ängsten vor Veränderungen.«
    »Weniger intellektuell. Das mag sein.« Sie sah ihn an. »Danke.«
    »Keine Ursache«, entgegnete er lächelnd.
    Sie nahm ihm das Radio ab, um den Stecker einzustecken. Das Gerät meldete sich mit einem Rauschen. Caroline zog die Antenne heraus und drückte die Taste für den UKW-Empfang und tatsächlich …
    »Ja!«, rief sie erleichtert aus. »Es funktioniert.«
    Sie mussten nicht lange nach einem geeigneten Sender suchen. Alle lokalen Stationen hatten nur ein Thema: den heftigsten Schneesturm seit mehr als zwanzig Jahren, der das gesamte südliche Jämtland und Teile von Dalana komplett lahmlegte. Straßen waren unpassierbar und Menschen von der Außenwelt abgeschnitten, es gab erste Stromausfälle, in einigen Bergregionen herrschte

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