Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
einen weiteren Schritt auf sie zu. »War es wegen des Babys, das du erwartet hast?«
»Nein!«
»Warum, zum Teufel, dann?«, schrie er sie an. »Sag es mir endlich!«
»Ich kann es dir nicht sagen!« Sie war bereits im Flur und rannte in ihr Schlafzimmer. Die Tür knallte zu, der Schlüssel drehte sich im Schloss. Er hörte sie erstickt weinen. Aus dem Wohnzimmer kam der Hund auf leisen Sohlen und knurrte ihn an. Langsam wich Ulf in die Küche zurück. Der Hund legte sich vor Carolines Tür, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
18.
S ie musste raus aus dem Haus. Fort von Ulf. Das plötzliche Aufflammen seiner Wut hatte sie zu Tode geängstigt. Egal, wie sehr sie sich um Normalität bemühten, es gelang ihnen nicht. Sie kreisten immer wieder um dieselben Themen und schrien sich letztlich an und … Nein, es war besser, diesen Weg nicht weiterzuverfolgen. Es gab keinen Ausweg, außer dass einer von ihnen ging. Der Sturm dort draußen konnte nicht schlimmer sein als das, was innerhalb dieser vier Wände drohte.
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. Unter normalen Bedingungen brauchte sie für die Strecke ins Dorf nicht länger als zwei Stunden. Wenn sie sich nur warm genug anzog, würde sie es auch bei diesem Wetter schaffen. Sie hatte schon ganz andere Probleme bewältigt, die sie zunächst für unlösbar gehalten hatte, und zur Sicherheit würde sie den Hund mitnehmen. Entschlossen öffnete sie den Kleiderschrank, doch während sie sich anzog, kamen ihr erneut die Tränen. Warum akzeptierte Ulf nicht, dass sie nicht über ihre Beweggründe reden konnte? Seine Ablehnung und Wut verletzten sie. Sie hatte geglaubt, seine Haltung ertragen zu können, sie hatte geglaubt, sein ambivalentes Verhalten zu verstehen, nachdem sie den Haftbefehl in seiner Tasche gefunden hatte, aber nichts dergleichen war der Fall. Er stellte Ansprüche an sie, die nicht gerechtfertigt waren. Sie hatte nichts von ihm verlangt. Und hätte er als Kriminalbeamter nicht alle Möglichkeiten gehabt, sie zu finden, wenn er gewollt hätte? Es war richtig, was sie ihm gesagt hatte, wenn sie sich hier nicht getroffen hätten, hätte er nie von der Existenz seiner Tochter erfahren, aber …
Es ging nicht um Lianne.
Sie sank auf ihr Bett, als sie das begriff.
Ging es um sie? War es möglich, dass er sie noch immer … liebte?
Nein. Das war Irrsinn.
War es das wirklich? Sie erinnerte sich ihrer eigenen Empfindungen, als sie ihm das erste Mal wieder gegenübergestanden hatte. Ihr Herz hatte vor Aufregung geklopft, sie hatte nicht gewusst, was sie sagen sollte, und gleichzeitig …
Nein.
Warum war sie aus dem Fjällkrogen fortgelaufen? Warum kreisten ihre Gedanken ständig darum, wie ihr Leben an seiner Seite hätte aussehen können? Ging es ihr nicht ebenso wie ihm? Sie ließ den Kopf in die Hände sinken, als sie sich an seinen Gesichtsausdruck erinnerte, nachdem er den Ring an der Halskette gesehen hatte. Als sie daran dachte, wie er auf sie und Björn reagiert hatte. Und warum konfrontierte er sie nicht mit dem Haftbefehl? Er war seit über zwanzig Jahren Polizist. Nach allem, was sie herausgehört hatte, war er erfolgreich und ambitioniert.
Nach Stockholm zu gehen war eine radikale Entscheidung. Aber ich habe sie nie bereut.
Er hatte sein Leben gefunden und so Frieden geschlossen. Sie durfte nicht zulassen, dass er das ihretwegen aufgab. Sie hatte schon genug Unglück verschuldet.
Entschlossen stand sie wieder auf und zog sich weiter an. Sie wartete, bis sie ihn ins Wohnzimmer gehen hörte. Er machte sich am Kamin zu schaffen, schob die Glut zusammen, legte neues Holz auf. Behutsam öffnete sie die Zimmertür und wäre fast über den Hund gestolpert.
Sie eilte durch den Flur, schlüpfte in Schneehose und Jacke und zog ihre Stiefel an. Sie erstarrte, als sie eine Bewegung im Wohnzimmer wahrnahm, aber es war nur das Knarren des alten Ledersofas. Mütze, Schal, Handschuhe. Zuletzt zog sie leise eine Schublade der Kommode neben der Tür auf und nahm die Hundeleine heraus.
Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, nahm ihr sofort den Atem, und von einem Moment auf den anderen war sie taub und blind. Um sie herum war nichts als wirbelndes Weiß und das Heulen des Sturms. Und eisige Kälte. Der Hund zog an der Leine. Sie folgte ihm, stolperte die Stufen der Veranda hinunter, fiel und rappelte sich wieder auf in ihrer Hast, das Haus hinter sich zu lassen. Der Wind verwandelte die Schneekristalle in Millionen feiner Nadeln, die
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