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Deine Juliet

Deine Juliet

Titel: Deine Juliet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Mary Ann / Barrows Shaffer
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es mir gewünscht, damit mein Elend ein Ende hätte, aber ich wollte doch vor meinem Tod noch Guernsey sehen. Und sobald die Insel in Sicht war, habe ich den Gedanken ganz aufgegeben, weil die Sonne zwischen den Wolken hervorbrach und die Klippen in silbrig glänzendes Licht tauchte.
    Als das Postschiff in den Hafen schlingerte, sah ich St.   Peter Port, das vom Meer aus in Terrassen ansteigt bis zu einer Kirche, die wie eine Tortendekoration auf der Spitze thront. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und obwohl ich mir einzureden versuchte, es sei die Landschaft, die mir den Atem raubte, wusste ich es doch besser. All die Menschen, die ich durch ihre Briefe kennen- und auch ein wenig lieben gelernt habe, warteten da – auf mich. Und kein Blatt Papier weit und breit, um mich dahinter zu verstecken. Sidney, in den vergangenen zwei, drei Jahren bin ich im Schreiben besser geworden als im Leben – und bedenke dabei, was Du erst aus meinen Manuskripten machst.Auf dem Papier bin ich schlicht bezaubernd, aber das ist nur ein Kunstgriff, den ich mir angeeignet habe. Mit mir selbst hat es nichts zu tun. Zumindest dachte ich das, als das Postschiff sich dem Anleger näherte. Ich habe sogar die feige Anwandlung verspürt, mein rotes Cape über Bord zu werfen und so zu tun, als sei ich jemand anders.
    Als wir anlegten, sah ich die Gesichter der Wartenden – und da gab es kein Zurück mehr. Ich erkannte sie, aus ihren Briefen. Da stand Isola mit einem verrückten Hut und einem purpurnen Schultertuch, das eine glitzernde Brosche zusammenhielt. Sie lächelte gebannt in die verkehrte Richtung, und ich schloss sie augenblicklich ins Herz. Neben ihr stand ein Mann mit einem gefurchten Gesicht und ihm zur Seite ein langaufgeschossener, schlaksiger Junge. Eben und sein Enkel Eli. Ich winkte Eli zu, und er lächelte strahlend wie die helle Sonne und stupste seinen Großvater – und dann packte mich die Scheu, und ich tauchte in der Menge unter, die über die Brücke nach unten drängte.
    Isola war – nach einem gewagten Sprung über eine Hummerkiste – als Erste bei mir und umarmte mich so stürmisch, dass ich vom Boden hochgerissen wurde. «Ah, Liebchen!», rief sie aus und ließ mich weiter in der Luft baumeln.
    Ist das nicht reizend? In ihrem eisernen Griff verging mir nicht nur Hören und Sehen, sondern auch alle Nervosität. Die anderen näherten sich mir etwas bedächtiger, aber nicht weniger herzlich. Eben schüttelte mir die Hand und lächelte. Man sieht, dass er früher kräftig und robust war, doch jetzt ist er wirklich zu dünn. Er wirkt ernst und freundlich zugleich. Wie macht er das nur? Ich hatte gleich den Wunsch, ihn zu beeindrucken.
    Eli setzte sich Kit auf die Schultern und kam mit ihr zusammen zu mir. Kit hat mollige Beinchen, dunkle Locken und große graue Augen. Sie sah mich streng an, offensichtlich konnte sie mir nicht das Geringste abgewinnen. Elis Pullover war mit Holzspänen übersät, und aus seiner Tasche holte er ein Geschenk für mich hervor – eine entzückende kleine Maus mitkrausen Schnurrhaaren, die er aus Walnussholz geschnitzt hatte. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange, und es ist ein Wunder, dass ich unter Kits böse funkelndem Blick nicht tot umgefallen bin. So viel Abweisung erlebt man bei einer Vierjährigen wahrhaftig nicht alle Tage.
    Dann streckte Dawsey mir die Hände entgegen. Ich hatte erwartet, dass er Charles Lamb ähnelt, was er auch tut, zumindest ein wenig – er hat den gleichen, unverwandten Blick. Er überreichte mir einen Strauß Nelken von Booker, der nicht kommen konnte, weil er sich bei einer Probe eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte und noch eine Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben musste. Dawsey ist dunkelhaarig und drahtig, sein Gesichtsausdruck ruhig und wachsam – bis er lächelt. Zur Beruhigung einer gewissen Schwester von Dir, er hat das hinreißendste Lächeln, das man sich nur vorstellen kann. Mir fiel ein, was Amelia über seine unglaubliche Überzeugungskraft schrieb – ich glaube ihr aufs Wort. Wie Eben, und alle anderen hier, ist er zu dünn, aber man sieht, dass er früher mehr Fleisch auf den Knochen hatte. Sein Haar ist schon ein wenig grau, und er hat tiefliegende braune Augen, so dunkel, dass sie fast schwarz erscheinen. Die Fältchen um seine Augen erwecken den Eindruck, als würde er lächeln, auch wenn er es nicht tut, doch ich glaube nicht, dass er älter ist als vierzig. Er ist nur wenig größer als ich und hinkt leicht, aber er ist

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