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Deine Juliet

Deine Juliet

Titel: Deine Juliet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Mary Ann / Barrows Shaffer
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jeder andere achtlos hinweggegangen wäre, aber sie sah, wie schön sie waren, und nahm sie mit nach Hause. Ob sie sie für Stillleben verwendet hat? Vielleicht liegen hier irgendwo ihre Skizzenbücher herum? Ich werde ein paar Streifzüge unternehmen. Erst die Arbeit, aber meine Vorfreude ist so groß, als sei eine Woche lang Weihnachten.
    Elizabeth hat auch eines von Sir Ambroses Gemälden hierhergebracht.Es ist ein Porträt von ihr, im Alter von ungefähr acht Jahren. Sie sitzt auf einer Schaukel, bereit, sich hoch in die Luft zu schwingen – muss aber stillhalten, damit Sir Ambrose sie malen kann. Man sieht ihren Augenbrauen an, wie wenig ihr das gefällt. Zornige Blicke müssen erblich sein, denn Kit guckt ganz genauso.
    Mein Cottage steht gleich hinter dem Gatter (einem ehrlichen, soliden Farmgatter, aus drei Balken gezimmert). Auf der Wiese ringsum blühen unzählige Wildblumen, die zum Klippenrand hin in hohe Gräser und Ginster übergehen.
    Das Große Haus (so heißt es in Ermangelung eines besseren Namens) ist eben jenes, das Elizabeth damals für Ambrose schließen sollte. Es liegt nur ein kurzes Stück entfernt an der Zufahrt und ist ein Traum. Zweistöckig, in L-Form aus schönen, blaugrauen Steinquadern erbaut, ein Schieferdach mit Gaubenfenstern, dazu eine Veranda, die sich über die gesamte Längsseite erstreckt. Die Ecke des Gebäudes krönt ein verglastes Türmchen mit Ausblick aufs Meer. Die meisten der riesigen alten Bäume wurden als Feuerholz gebraucht und mussten gefällt werden, aber Eben und Eli pflanzen im Auftrag von Mr.   Dilwyn neue – Kastanien und Eichen. Er will auch ein Spalier für Pfirsichbäume an den Gartenmauern anbringen – sobald diese wieder errichtet sind.
    Das Haus hat schöne Proportionen und breite, hohe Fenster, die auf die steinerne Veranda hinausgehen. Der Rasen grünt und wuchert wieder, die Furchen, die die Autos und Lastwagen der Deutschen mit ihren Rädern eingegraben haben, sind kaum noch zu sehen.
    In Begleitung von Eben, Eli, Dawsey oder Isola habe ich in den vergangenen fünf Tagen die Runde durch die zehn Gemeinden der Insel gemacht. Guernsey ist wunderschön in seiner Vielfalt   – Felder, Wälder, Hecken, bewaldete Täler, Herrenhäuser, Dolmen, wilde Klippen, Hexenwinkel, Scheunen im Tudor-Stil und normannische, steinerne Cottages. Zu beinahe jedem neuenOrt und Bauwerk bekam ich etwas aus der (sehr gesetzlosen) Geschichte der Insel erzählt.
    Die Piraten auf Guernsey hatten einen erlesenen Geschmack – sie errichteten schöne Häuser und imposante öffentliche Gebäude. Letztere sind leider ziemlich heruntergekommen und reparaturbedürftig, aber ihre architektonische Schönheit kann man noch erkennen. Dawsey führte mich zu einer winzigen Kirche, die zur Gänze mit einem Mosaik aus Porzellan- und Tonscherben verkleidet ist – das Werk eines einzelnen Priesters. Seine seelsorgerischen Hausbesuche muss er mit dem Vorschlaghammer absolviert haben.
    Die, die mich herumführen, sind so unterschiedlich wie das, was sie mir zeigen. Isola erzählt mir von Piratentruhen, auf denen ein Fluch liegt und die zusammen mit ausgebleichten Knochen an den Strand geschwemmt werden, und davon, was Mr.   Cheminie in seiner Scheune versteckt hält (er behauptet, es sei ein Kalb, aber das kann er uns nicht weismachen). Eben beschreibt gern, wie dies und jenes vor dem Krieg ausgesehen hat, und Eli neigt dazu, plötzlich zu verschwinden und mit einem engelhaften Lächeln und Pfirsichsaft im Gesicht wieder aufzutauchen. Dawsey spricht am wenigsten von allen, aber er führt mich zu wahren Wundern – wie der winzigen Kirche. Dann tritt er zurück und lässt sie mich genießen, solange ich will.
    Noch nie bin ich jemandem begegnet, der andere so wenig bedrängt. Als wir gestern die Straße entlanggingen, fiel mir auf, dass sie sehr nah an die Klippen heranführt und ein Pfad von ihr hinunter zum Strand abzweigt. «Ist das die Stelle, an der Sie Christian Hellmann begegnet sind?», fragte ich. Dawsey sah mich verblüfft an und sagte, ja, das sei sie. «Wie sah er aus?», wollte ich weiter wissen, um mir die Szene besser vorstellen zu können. Ich hatte keine vernünftige Antwort erwartet, da Männer einander nun einmal nicht beschreiben können, aber Dawsey konnte es. «Er sah aus, wie man sich die Deutschenvorstellt – groß, blond, blaue Augen, gerade Nase, charmantes Lächeln – nur dass er auch Schmerz kannte.»
    Mit Amelia und Kit bin ich schon einige Male zum Tee im Ort

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