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Deine Juliet

Deine Juliet

Titel: Deine Juliet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Mary Ann / Barrows Shaffer
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und er rasch den Blick abwendet. (Ich hoffe, Du weißt meine Beobachtungsgabe zu schätzen.)
    Eines jedenfalls kann ich mit Bestimmtheit sagen: Er wiegt ein Dutzend Mark Reynolds auf. Ich weiß, Du findest, dass ich überzogen auf Reynolds reagiere, doch Du kennst ihn nicht. Er ist charmant, aber aalglatt, und er bekommt immer, was er will. Das ist eins seiner wenigen Prinzipien. Er will Juliet, weil sie hübsch und «intellektuell» zugleich ist und weil er meint, dass sie ein eindrucksvolles Paar abgeben würden. Wenn sie ihn heiratet, wird sie den Rest ihres Lebens damit zubringen, in Theatern und Clubs und bei geselligen Zusammenkünften am Wochenende vorgezeigt zu werden, und nie wieder ein Buch schreiben. Als ihr Verleger finde ich diese Aussicht bestürzend, als ihr Freund schlicht entsetzlich. Es wäre das Ende der Juliet, die wir kennen.
    Es lässt sich nicht leicht sagen, was Juliet über Reynolds denkt – falls sie überhaupt an ihn denkt. Als ich sie fragte, ob sie ihn vermisse, sagte sie: «Mark? Ich schätze schon», als wäre er ein entfernter Onkel, und zwar keineswegs einer ihrer Lieblingsonkel. Ich wäre überglücklich, wenn sie ihn zu den Akten legte, aber das wird er wohl nicht zulassen.
    Um auf prosaischere Angelegenheiten wie die Besatzung und Juliets Buch zurückzukommen: Heute Nachmittag durfte ich sie zu einigen Besuchen bei verschiedenen Inselbewohnern begleiten. Sie wollte sie zu dem Tag befragen, an dem Guernsey befreit wurde, der 8.   Mai letzten Jahres.
    Was muss das für ein Morgen gewesen sein! Man kann sich die Menge am Hafen von St.   Peter Port vorstellen. Still, mucksmäuschenstill, Massen von Menschen, die die herannahenden Schiffe der Royal Navy beobachteten. Als die Tommys dann ans Ufer marschierten, brach die Hölle los. Umarmungen, Küsse, Weinen, Geschrei.
    Viele der Soldaten, die da landeten, waren selbst aus Guernsey. Männer, die fünf Jahre lang nichts von ihren Familien gehörtund gesehen hatten. Ich habe ihre Blicke, die beim Marschieren in der Menge nach Familienangehörigen suchten, geradezu vor mir gesehen – und ihre Freude über das Wiedersehen.
    Mr.   LeBrun, ein pensionierter Postbote, erzählte die ungewöhnlichste Geschichte von allen. Einige britische Schiffe haben die Flotte in St.   Peter Port verlassen und ein paar Kilometer weiter nördlich in St.   Sampson angelegt. Auch dort hatte sich eine Menschenmenge versammelt und wartete darauf, dass das Landungsboot die Unterwassersperren der Deutschen durchbrach und den Strand erreichte. Als die Ladeklappen sich öffneten, kam nicht etwa ein Zug uniformierter Soldaten heraus, sondern ein einzelner Mann, in lässigem Schlendergang, wie ein Engländer aus dem Bilderbuch angetan mit gestreiften Hosen, Cut, Zylinder, einen eingerollten Regenschirm in der einen und eine Ausgabe der
London Times
vom Vortag in der anderen Hand. Eine Sekunde lang herrschte Stille, dann brach die Menge in brüllendes Gelächter aus – man umringte ihn, klopfte ihm auf den Rücken, er wurde abgeküsst und von vier Männern geschultert, die im Triumphzug mit ihm durch die Straßen marschierten. Jemand schrie: «Nachrichten   – Nachrichten direkt aus London!», und riss ihm die
Times
aus der Hand. Wer immer er war, dieser Soldat, er war ein Teufelskerl und hat eine Medaille verdient.
    Als die anderen Soldaten kamen, warfen sie Schokolade, Apfelsinen, Zigaretten und Teebeutel in die Menge. Brigadegeneral Snow verkündete, das Telefonkabel nach England werde repariert, sodass die Inselbewohner schon bald mit ihren dorthin evakuierten Kindern und Familien würden sprechen können. Außerdem brachten die Schiffe Tonnen von Lebensmitteln, Arznei, Paraffin, Tierfutter, Kleidung, Stoffe, Saatgut und Schuhe!
    Es gäbe wahrscheinlich genug Geschichten, um drei Bücher zu füllen – man wird wohl eine Auswahl treffen müssen. Aber sorge Dich nicht, wenn Juliet dann und wann nervös klingt – das sollte sie. Es ist eine gewaltige Aufgabe.
    Ich muss jetzt schließen und mich für Juliets Abendgesellschaft umziehen. Isola hat sich in drei Stolen und einen eleganten Spitzenschal gehüllt, und ich will ihr keine Schande machen.
     
    Liebste Grüße an Euch alle,
    Sidney

Juliet an Sophie
    4.   Juli 1946
    Liebe Sophie,
    nur ein paar Zeilen, um Dir mitzuteilen, dass Sidney da ist und wir aufhören können, uns Sorgen um ihn – und sein Bein – zu machen. Er sieht prächtig aus, ist braungebrannt, in guter Verfassung, und von seinem Humpeln

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