Deine Juliet
ein Langschläfer.
Dawsey und ich und sein Wagen erwarten Dich am Flugplatz. Ich hoffe, es ist bald Freitag.
Liebste Grüße,
Deine Juliet
Von Isola an Juliet (unter Juliets Tür durchgeschoben)
Freitag – kurz vor Morgengrauen
Meine Liebe, ich habe leider keine Zeit zu bleiben, ich muss eilig zu meinem Marktstand. Ich freue mich, dass Dein Freund bei mir wohnen wird. Ich habe Lavendelzweige zwischen seine Laken gelegt. Soll ich ihm heimlich eins von meinen Elixieren in den Kaffee mischen? Nicke mir auf dem Markt einfach zu, dann weiß ich schon, welches Du meinst.
XXX Isola
Sidney an Sophie
3. Juli 1946
Liebe Sophie,
nun bin ich endlich auf Guernsey bei Juliet und kann Dir drei oder vier von Deinen unzähligen Fragen beantworten.
Zuallererst: Kit ist Juliet offenbar so zugetan wie wir. Sie ist ein munteres kleines Ding, auf zurückhaltende Weise zärtlich (was widersprüchlicher klingt, als es ist), und immer bereit zu lächeln, wenn von ihren Ziehmüttern oder -vätern aus dem Buchclub jemand anwesend ist.
Sie ist schlicht anbetungswürdig mit ihren runden Bäckchen, runden Augen und den Kringellocken. Die Versuchung, sie abzuküssen, ist nahezu überwältigend, aber das hieße ihre Würde zu missachten, und ich bin nicht unerschrocken genug, es zu versuchen. Wenn sie jemanden sieht, den sie nicht leiden kann, setzt sie einen Blick auf, der selbst Medea dahinwelken ließe. Isola sagt, er sei für den grausamen Mr. Smythe reserviert, der seinen Hund schlägt, und für die böse Mrs. Guilbert, die Juliet eine «Schnüffelnase» genannt und zu ihr gesagt hat, sie solle zurück nach London gehen, wo sie hingehöre.
Eine Geschichte von Juliet und Kit muss ich Dir erzählen. Dawsey (über ihn später mehr) kam vorbei, um Kit abzuholen; sie wollten zusehen, wie Ebens Fischerboot in den Hafen einläuft. Kit verabschiedete sich, sauste hinaus, kam im nächsten Moment zurück, lief zu Juliet, hob ihren Rock einen Fingerbreit, küsste sie aufs Knie und sauste wieder hinaus. Juliet guckte etwas verdutzt – und dann so glücklich, wie Du und ich sie noch nie erlebt haben.
Ich weiß, Du fandest Juliet müde, erschöpft, abgekämpft und blass, als Ihr Euch letzten Winter gesehen habt. Ist Dir eigentlich klar, was für eine Plage diese Teegesellschaften und Interviews sein können? Jetzt sieht sie jedenfalls kerngesund aus und sprühtvor Lebensfreude wie in alten Zeiten. So sehr, Sophie, dass ich glaube, sie wird nie mehr in London leben wollen – auch wenn sie das selbst noch nicht weiß. Seeluft, Sonnenschein, grüne Felder, Wildblumen, der sich ständig verändernde Himmel und das Meer und vor allem die Menschen hier haben sie, glaube ich, vom Stadtleben fortgelockt.
Es ist leicht zu sehen, wie sie das gemacht haben. Diese Insel ist so heimelig und einladend, Isola ist die Gastgeberin, die man sich für einen Landaufenthalt immer wünscht und die man doch nie findet. Gleich am ersten Morgen scheuchte sie mich aus dem Bett und forderte mich auf, ihr zu helfen: beim Trocknen von Rosenblüten, beim Butterstampfen und beim Umrühren irgendeines Gebräus (weiß Gott, was genau), das in einem großen Topf vor sich hin brodelte. Dann sollte ich Ariel füttern und für sie auf dem Fischmarkt einen Aal besorgen. Und die ganze Zeit saß Zenobia, der Papagei, auf meiner Schulter.
Nun zu Dawsey Adams. Ich habe ihn pflichtgetreu unter die Lupe genommen. Und mir gefällt, was ich gesehen habe. Er ist ruhig, tüchtig, verlässlich – o Gott, das klingt, als wäre er ein Hund –, und er hat Sinn für Humor. Kurz, er gleicht in nichts Juliets bisherigen Verehrern, wofür wir von Herzen dankbar sein sollten. Bei unserem ersten Zusammentreffen hat er nicht viel gesagt – bei den folgenden auch nicht, wenn ich’s mir recht überlege –, aber es ist, als ob alle erleichtert aufatmen, wenn er einen Raum betritt. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie eine solche Wirkung erzielt, ich frage mich, warum. Juliet wirkt eine Spur nervös in seiner Gegenwart – sein Schweigen ist allerdings tatsächlich ein wenig einschüchternd –, und sie hat ein furchtbares Chaos mit dem Teegeschirr angerichtet, als er gestern kam, um Kit abzuholen. Aber Juliet hat schon immer gern Teetassen zerschlagen (erinnerst Du Dich noch, was sie mit Mutters antikem Spode-Porzellan angestellt hat?), das muss also nichts heißen.
Er wiederum betrachtet sie fortwährend aus seinen dunklenAugen – bis sie zu ihm hinsieht
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