Deine Kinder sind Deine Schuld
blicken.
Die Kehrseite der Medaille
Es geht auch umgekehrt: Manchmal gibt es Eltern, die machen falsch, was man nur falsch machen kann, und trotzdem geraten ihre Kinder prima. Manche Kinder brauchen nur wenig oder gar keinen elterlichen Einfluss. Sie bekommen kein Training, keine Hilfe, kein großes Interesse, keine Disziplin, nicht einmal Liebe von ihren Eltern geschenkt und doch kriegen sie irgendwie die Kurve und werden verantwortungsbewusste Erwachsene.
Wie ist das möglich? Ich habe schon Interviews mit Leuten gesehen, die unter entsetzlich schlechten Bedingungen aufwuchsen. Kids aus sozialen Projekten, mit Crack-Dealern im Haus, ohne regelmäßiges, ausreichendes Essen, vernachlässigt, eventuell sogar sexuell misshandelt – und irgendwie ist doch etwas aus ihnen geworden. Für gewöhnlich gibt es anstelle der Eltern eine andere erwachsene Person, die einspringt, um die Erziehung des Kindes zu retten – eine Verwandte, eine Lehrerin, ein Geistlicher oder ein Sporttrainer. Manchmal hat so ein Kind auch etwas in sich, was es dazu bringt, allen widrigen Umständen zu trotzen und ein tüchtiges, verantwortungsbewusstes Mitglied unserer Gesellschaft zu werden.
Es ist eines der großen Mysterien der menschlichen Natur:
MANCHMAL MACHT MAN ALLES RICHTIG
UND ES LÄUFT TROTZDEM SCHIEF,
MANCHMAL MACHT MAN ALLES FALSCH –
UND ES KLAPPT TROTZDEM.
Aber bitte benutzen Sie das nicht als Ausrede, um alles zu vermasseln in der Hoffnung, alles wird gut für Ihr Kind. Tun Sie bitte alles, was in Ihrer Macht steht, damit Ihr Kind für sein Leben gut gerüstet ist.
Das letzte große Ziel aller Eltern: Selbstständigkeit
Das sollten Sie sich am meisten für Ihr Kind wünschen – dass es möglichst eigenständig und unabhängig von Ihnen wird.
Sie wollen doch auch, dass Ihr Kind in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Dass es selbst gesunde, angepasste und verantwortungsbewusste Kinder bekommt. Dass es glücklich und finanziell abgesichert ist und Sie nicht mehr braucht – außer Ihre elterliche Liebe.
Um dies zu erreichen, müssen Sie die Fünf Grundregeln des Elternseins beherrschen und anschließend entscheiden, was Ihr Kind Ihrer Meinung nach wissen sollte, um ein tüchtiger, verantwortungsbewusster Erwachsener zu werden. Schließlich müssen Sie Ihr Kind in die Selbständigkeit entlassen und es seine Fehler selbst machen und ausbaden lassen.
Leider gibt es viele Eltern, die nicht wirklich wollen, dass ihre Kinder ihr eigenes, unabhängiges Leben führen. Eines Tages aß ich mit einer Familie zu Abend, zusammen mit ihrem achtzehnjährigen Sohn. Ein großartiger junger Mann mit sehr, sehr netten Eltern, aber einer überbehütenden Mutter, die verzweifelt versuchte, sich an ihrem „kleinen Jungen“ festzuhalten. Als wir der Reihe nach beim Kellner unsere Bestellungen aufgaben, sagte der Sohn, was er essen und trinken wollte, aber sogleich warf seine Mutter ein: „Was soll denn das, das magst Du doch gar nicht so, bestell Dir doch lieber was anderes.“ Der arme Kerl wurde verlegen, aber er wagte seiner Mutter nicht zu widersprechen. Ich fragte ihn, ob er sich mein Taschenmesser ausleihen wolle. Er sah mich an und fragte mich, warum. Ich sagte, damit er sich von den Schürzenzipfeln seiner Mutter losmachen könne, die ihm, wie ich den Eindruck habe, die Luft abschnürten. Er und sein Vater lachten herzhaft, obwohl ich es schon ein bisschen ernst gemeint hatte. Seine Mutter versuchte sich zu rechtfertigen, aber leider gibt es für ihr Verhalten keine gute Rechtfertigung. Er ist achtzehn Jahre alt – lasst doch den armen Kerl sein Essen selbst bestellen!
Und was, wenn nicht? Ein andermal aß ich mit einigen Paaren zu Abend. Einer der Männer in der Runde, er war in den Vierzigern, bestellte sein Essen und gab dem Kellner die Speisekarte zurück. Da mischte sich seine Frau ein und meinte: „Das ist ja eine Riesen-Auswahl hier. Möchtest Du nicht lieber etwas anderes bestellen? Steak hattest Du doch neulich erst – nimm doch lieber den Lachs.“ Jeder am Tisch hörte mich laut seufzen, sah, wie ich den Kopf schüttelte und mit den Augen rollte. (Manchmal denke ich, eine bestimmte Reaktion läuft nur in meinem Kopf ab, für die anderen unsichtbar, aber dann merke ich, dass die anderen es doch gesehen haben und dass es mir gar nicht so unrecht ist, dass sie es gesehen haben.) Sie sah mich an und fragte: „Was ist denn?“ Ich antwortete: „Hör mal, er ist ein erwachsener Mann, Chef einer
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