Deine Lippen, so kalt (German Edition)
geschehen wird.
Aber damit können wir uns später beschäftigen. Erst einmal müssen wir den bescheuerten Kater finden.
»Hast du das ganze Haus abgesucht?«, frage ich sie, während ich gleichzeitig zurück in den Flur gehe und mir meine Jacke greife. »Schränke, Schubladen, Keller, überall?«
»Überall.« Sie vibriert praktisch vor Panik und ich mache ihr keinen Vorwurf. Die Anzahl von Orten, an denen sich eine sechs Kilo schwere Katze verstecken kann, ist enorm.
»Dann muss er draußen sein. Komm mit.«
Sie schnappt sich ein Sweatshirt und folgt mir durch die Hintertür nach draußen. Während sie es sich über den Kopf zieht, ruft sie bereits nach ihm. Die Dämmerung ist beinah hereingebrochen, der Garten duckt sich im Schatten der knorrigen Ulme, die neben der Garage aufragt.
»Du siehst da drin nach«, weise ich sie an und kneife die Augen zusammen, um in der zunehmenden Dunkelheit über den Rasen zu spähen, unter die Hintertreppe, die wild wuchernden Büsche, die an der Hauswand wachsen.
Robin stößt etwas in der Garage um und kommt vor sich hin schimpfend und die Ärmel abklopfend wieder nach draußen. »Falls er da drin ist, ist er irgendwo, wo ich ihn nicht sehen kann. Wir brauchen Licht .«
Das Wort hat ihre Lippen kaum verlassen, als ein warmer gelber Schimmer dem Weg folgt, den ihre ausgestreckte Hand weist. Ihre Augen weiten sich überrascht, und ich stolpere einen Schritt nach hinten, aber mir bleibt keine Zeit, das Ganze zu kommentieren, weil das Licht auf einen Trampelpfad gefallen ist, der in das vertrocknete Gras getreten wurde.
Er führt direkt auf die Gartenecke und Mrs Petrellis Garage zu.
Robin ist auf und davon, bevor ich etwas sagen kann, das gelbe Licht tanzt vor ihr her. Es ist relativ offensichtlich, dass der Pfad zu breit ist, als dass er von einer Katze stammen könnte, aber das sieht sie in ihrer Panik nicht.
»Robin, mach langsam.« Ich jogge hinter ihr her. »Du könntest ihn, äh, verjagen, wenn er da hinten ist.«
»Mr Purrfect«, ruft sie und ignoriert mich. »Komm her, mein Junge. Komm schon, ich habe Abendessen für dich.« Sie ist bereits bei dem Loch in der Hecke angekommen und schwenkt ihre Hand hin und her, um das Licht durch das dürre Laub leuchten zu lassen.
Und da, genau auf der anderen Seite der Hecke, hockt der Kater, keine zwei Meter von Mrs Petrellis Garage entfernt, mit einem zusammengeknüllten Stück Papier im Maul. Seine gelben Augen glühen auf, als Robins Licht über sein Gesicht tanzt.
»Da bist du ja!« Das Licht erlöscht, als sie auf ihn zustürzt, sich durch die Hecke kämpft und mit ausgestreckten Händen auf den Rasen fällt. »Komm her, mein Junge.«
Ich weiß, es ist unmöglich – wenn mein Herz tatsächlich stehen geblieben wäre, würde ich jetzt ohnmächtig werden, das Bewusstsein verlieren. Aber es fühlt sich so an, als das dumme Tier sein Maul öffnet, um sie anzumauzen, und dabei das Papier vor ihr auf den Boden fallen lässt.
Alles, was ich denken kann, ist Wind , aber da ist es schon zu spät. Bevor die steife Brise an uns rüttelt, hebt Robin das Papier auf und faltet es auseinander. »Was ist das?«, sagt sie und streichelt den Kater, der seinen Kopf an ihrem Oberschenkel reibt. Sein Fell ist gesträubt und ich weiß nicht, ob der Wind ihn so in Panik versetzt hat oder etwas anderes.
Zum Beispiel mein toter Freund.
»Wren, guck mal«, sagt Robin, während ich wie eine Idiotin mit offenem Mund neben ihr stehe. »Es sieht aus wie eins von Dannys.«
Das zerknitterte Blatt auf ihren Knien zeigt eine Cartoonzeichnung von einem Mädchen, das genauso aussieht wie ich, in engen schwarzen Jeans und Docs, das dunkle Haar steht nach allen Seiten ab, nur halbwegs gebändigt von ein paar Haarspangen, im Gesicht sorgt ein leuchtend roter Balken für ein sarkastisches Grinsen.
Natürlich bin ich das. Und Robin muss es wissen – ihr Lieblingsspiel war es, Danny dazu zu bringen, lustige Bilder für sie zu malen. Von mir, der Katze, ihm selbst und sogar von ihr. Sie hat immer noch ein paar, die sie an der Wand über ihrem Schreibtisch aufgehängt hat. Sie sind alle mit Dannys gekritzelten Initialen signiert.
Sie hat ihn auch geliebt, und er behandelte sie besser als die meisten Jungs die nervige kleine Schwester ihrer Freundin behandeln würden, denn Danny war immer bereit, anderen eine Freude zu machen.
In diesem Moment spielt jedoch nichts davon eine Rolle. Schnell beuge ich mich runter und nehme das Blatt aus ihrem Schoß.
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