Deine Lippen, so kalt (German Edition)
leid, okay?« Er kommt langsam näher und ich hole tief Luft, ringe das letzte bisschen vibrierende, summende Energie in mir nieder. Und als er meine Hand in seine nimmt, rät mir mein Instinkt nicht, wegzulaufen oder mich zu wehren, sondern mich an ihr festzuhalten. Er wartet ab, sieht mir prüfend ins Gesicht, ehe er weiterspricht: »Ich möchte nur helfen, Wren. Es muss dir doch klar sein, dass es kein Happy End geben wird. Ich meine, fragt er denn nie nach seiner Familie? Seinen Freunden?«
»Anfangs nicht.« Meine Stimme klingt so dünn, dass sogar ich sie kaum höre. »Anfangs hat es ihm gereicht, mit mir zusammen zu sein. Aber dann hat er angefangen, sich an Dinge zu erinnern. Dinge zu wollen, andere Dinge.« Ich hebe den Kopf und wende ihm das Gesicht zu, ich kann die Tränen nicht verbergen, die in meinen Augen brennen. »Ich hatte nicht über diesen Teil nachgedacht. Ich wollte ihn einfach zurückhaben.«
»Ich weiß.« Er ist so nah, dass ich den Duft der Nacht riechen kann, der an seiner Kleidung und seinen Haaren hängt. »Ich habe nur Angst davor, was passieren könnte.«
»Er würde mir niemals wehtun.« Meine Antwort kommt zu rasch, und ich frage mich, ob Gabriel merkt, dass ich nicht mehr vollkommen überzeugt davon bin.
»Aber er kann nicht für immer über der Garage wohnen, Wren. Das weißt du!«
»Natürlich weiß ich das!« Ich entziehe ihm meine Hand und stolpere einen Schritt zurück, während ich mir gleichzeitig mit dem Handrücken eine entflohene Träne von der Wange wische. »Ich habe es getan, ohne darüber nachzudenken. Und ich habe dir schon gesagt, dass ich eine Lösung finden werde. Nur … nicht heute Abend.«
»Du kannst es nicht länger aufschieben, Wren.« Er macht wieder einen Schritt auf mich zu und ich weiche zurück. Ich kann nicht denken, wenn er so nahe ist, so warm.
»Zuerst muss ich meinen Chemietest bestehen und Freitagabend überleben«, murmle ich.
»Was ist Freitagabend?«
Ich stoße ein Lachen aus, das eher ein Seufzen ist, und schüttle den Kopf. »Eine Pyjamaparty. Eine bescheuerte, mädchenmäßige Pyjamaparty bei mir zu Hause, weil meine Freundinnen im Begriff sind, für immer aus meinem Leben zu verschwinden, und ich nicht ertrage, wenn das passiert. Also muss ich einen Horrorfilm über mich ergehen lassen, Popcorn essen und zusehen, wie Jess sich die Nägel lackiert, verstanden?«
Es sieht nicht so aus, als würde ihm das einleuchten, aber ich kann keine Rücksicht darauf nehmen, ob er es versteht. Nicht hier und jetzt.
»Wren, lass mich dir helfen, ja? Ich könnte was für dich recherchieren. Ich möchte nicht, dass du das allein durchziehst. Und ich möchte auf keinen Fall, dass du verletzt wirst.«
Er meint es ernst und alles Kantige an seinem Körper scheint mit einem Mal irgendwie weicher. Aber ich kann nicht anders, als herauszuplatzen: »Gott, was kümmert dich das alles überhaupt?«
Er zuckt zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. »Ist das nicht offensichtlich? Du bist mir aufgefallen, bevor ich deine Kräfte bemerkt habe, Wren.«
Das sollte sich nicht so gut anfühlen, wie es das tut, ein strahlendes, glühendes Pulsieren in meiner Brust. Es spielt keine Rolle, ob Gabriel mich mag, und es spielt erst recht keine Rolle, ob ich Gabriel mag. Da ist Danny, an den ich denken muss. Immer Danny.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also stehe ich nur da und blinzle, und schließlich gibt Gabriel auf und macht noch einen Schritt auf mich zu. Dieses Mal weiche ich nicht zurück, obwohl ich den Kopf schräg legen muss, um ihm in die Augen sehen zu können. Warum sind die Jungen, die auf mich stehen, immer so groß?
»Ich habe dich gesehen, Wren«, sagt Gabriel und seine Stimme ist so sanft wie eine Feder, die von der Luft getragen wird. So sanft, dass ich die Augen schließe, um ihr zu lauschen. »Ich habe dieses Mädchen gesehen, mit den dunklen Augen und der verrückten Frisur und dem ›Ihr könnt mich alle mal‹-Ausdruck im Gesicht, und ich wollte mit dir reden.«
Ich lache und öffne die Augen. »Wow. Geschmeidige Anmache.«
Er grinst ein wenig schief und deutet ein Achselzucken an. »Es ist wahr. Du siehst nicht aus wie alle anderen und das ist was Gutes.«
»Zumindest passen Äußeres und Inneres zusammen«, sage ich und gestatte mir, noch eine Idee näher an ihn heranzurücken. Ich kann nicht anders, mein Leben ist zu einer Jonglage geworden – ich wirble die Bälle durch die Luft, und keinen darf ich so lange festhalten, wie ich
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