Deine Lippen, so kalt (German Edition)
er wieder, verschlafen diesmal, und seine Arme beginnen sich zu entspannen. In der nächsten Minute sackt er in sich zusammen, und ich fange ihn auf, als er wie eine Puppe auf das Bett fällt.
Kaum dass er umgefallen ist, rührt er sich nicht mehr, sogar als ich vorsichtig von der Matratze rutsche. Ich weiß, er spürt die Kälte nicht, er schläft nicht mal richtig, aber ich kann nicht anders – ich gucke mich um, bis ich ein großes Badelaken auf dem Boden entdecke, das ich liebevoll über ihn breiten kann, ehe ich das Zimmer verlasse.
Gabriel kommt aus der Küche, als ich die Tür zu seinem Zimmer schließe.
»Okay?«
Ich nickte, obwohl es das nicht ist.
»Du siehst aus, als hättest du einen Monat nicht geschlafen«, sagt er und streicht mir das Haar aus der Stirn.
»Ich hoffe, das sagst du nicht zu allen Mädchen«, erwidere ich ein wenig kraftlos, aber mir gelingt ein Lächeln. Er sieht nicht viel besser aus, und als ich einen Blick auf die Uhr werfe, ist es erst sechs. Ich habe keine Idee, wo ich hin soll, was ich tun soll, und alles, wonach ich mich sehne, ist, für eine Woche oder länger Dornröschen zu spielen und irgendwann wieder aufzuwachen und zu entdecken, dass alles nur ein schlimmer Traum war.
»Ich habe Tee gemacht«, sagt Gabriel und geht in die Küche zurück, um eine Tasse voll zu holen. Sie dampft immer noch, als ich sie ins Wohnzimmer trage. Es ist bereits dunkel und das Zimmer kommt mir vor wie ein Versteck, in dem wir sicher und ungestört sind.
Ich mache es mir in der einen Sofaecke gemütlich und balanciere die Tasse auf meinem Knie, lasse die Wärme in meine Hände strömen. Als Gabriel auf die Lampe zugeht, um sie anzuknipsen, sage ich: »Nicht.«
Er stellt meinen Wunsch nicht infrage. Stattdessen kommt er und setzt sich neben mich und sieht mich eine Minute an, bevor er meine Füße hochzieht und beginnt, die Schnürsenkel meiner Stiefel zu lösen. Es plumpst zweimal laut, als sie auf den Boden fallen, dann ist es wieder still.
Es gäbe so viel zu sagen, also sagen wir lieber gar nichts. Aber ich bin dankbar, jemanden zu haben, der mit mir in der Dunkelheit sitzt.
* Wren heißt Zaunkönig
Kapitel zwanzig
A uf Gabriels Sofa aufzuwachen beginnt sich merkwürdig vertraut anzufühlen, etwas, das ich noch vor einer Woche nicht im Traum für möglich gehalten hätte. Mein Hals ist steif und mein rechter Fuß eingeschlafen, aber ich stemme mich so leise wie möglich in eine sitzende Position, denn am anderen Ende der Couch schläft Gabriel noch.
Und Olivia sitzt am Wohnzimmertisch, trinkt etwas, das nach starkem Kaffee duftet und grinst mich leicht verlegen an. »Hey«, sagt sie.
Ich blinzle und schlucke. Meine Mundhöhle fühlt sich an wie ein schweißnasser Socken und ich bin mir meiner in siebzehn Richtungen abstehenden Haare unangenehm bewusst. »Ähm, hey.«
»Da ist noch eine unbenutzte Zahnbürste im Bad, wenn du möchtest.« Sie lächelt mir über den Rand ihrer Tasse zu und wirft einen Blick auf Gabriel. »Er schläft bestimmt noch ein Weilchen. Aber ich kann dir Frühstück und Kaffee anbieten. Du musst am Verhungern sein.«
Das stimmt, stelle ich fest, als mein Magen mit einem schmerzhaften Ziehen antwortet. Ich kann mich nicht an das letzte Mal erinnern, als ich feste Nahrung zu mir genommen habe, und wir müssen unfassbar früh eingeschlafen sein. Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist, wie ich meine Teetasse abstellte und zuließ, dass Gabriel mich an sich zog, damit ich meinen Kopf an seine Schulter lehnen konnte.
Und Olivia muss nach Hause gekommen und uns so gefunden haben. Meine Wangen werden plötzlich heiß, aber sie ist bereits aufgestanden und ruft mir leise über die Schulter zu: »In der Küche sind Donuts. Aber kampflos werde ich dir den letzten mit Schokolade nicht überlassen.«
Olivia ist so was von cool, sie hätte dafür die Goldmedaille verdient. Als ich endlich mit annähernd gebändigtem Haar und geputzten Zähnen in die Küche stolpere, hat sie einen großen Becher Kaffee für mich eingeschenkt und die Donuts auf einem Teller drapiert. Ich ziehe den Hocker der Frühstücksanrichte vor und klettere darauf, unsicher, was ich jetzt sagen soll.
Doch sie nimmt mir auch diese Sorge ab. »So«, sagt sie und trinkt einen Schluck aus ihrer vollen Kaffeetasse. Dann stützt sie sich mir gegenüber auf die Anrichte. »Wie fühlst du dich?«
Ich blase über meinen Kaffee und zucke mit den Schultern. »Noch kein Totalzusammenbruch. Aber nah
Weitere Kostenlose Bücher