Deine Lippen, so kalt (German Edition)
dran.«
»Das hab ich mir gedacht.« Sie holt tief Luft und richtet sich auf. »Gabriel hat mir das meiste erzählt und die Lücken habe ich mehr oder weniger selbst gefüllt. War er deine erste?«
Ich blinzle sie verwirrt an. »Meine … erste?«
»Liebe«, sagt sie, und ihr Lächeln ist ein wenig traurig. »Danny, meine ich.«
Oh. Ich nicke und senke den Blick wieder auf meinen Kaffee, in der Hoffnung, dass die tiefrote Färbung meiner Wangen nicht allzu offensichtlich ist.
»Sie ist etwas Großes. Lass dir von niemandem was anderes erzählen. Auch wenn es … na, du weißt schon.«
Ich sehe ihr in die Augen. »Ich weiß es. Jetzt jedenfalls. Ich war bloß … ohne ihn hatte ich das Gefühl, nicht mal mehr atmen zu können. Ich weiß, das ist dumm.«
»Es ist überhaupt nicht dumm.« Sie schluckt den Rest von ihrem Kaffee hinunter und stellt die Tasse ab. Dann legt sie den Kopf schief und sagt: »Die meisten Menschen würden in einer solchen Situation exakt dasselbe wollen, und die meisten Menschen würden genauso wenig begreifen, dass es niemals funktionieren kann. Bloß können die meisten von uns nicht das, was du kannst.«
»Ich weiß.«
»Ich will mich nicht anhören wie Spidermans Onkel, aber ›aus großer Kraft folgt große Verantwortung.‹« Ihr Grinsen ist wie ein heller Sonnenstrahl im dämmrigen Licht des Morgens. »Und ich glaube, ich weiß, wie ich dir helfen kann.«
»Auf gar keinen Fall«, sagt Gabriel und ich richte mich empört zu meiner vollen Größe auf. Obgleich ich wirklich wünschte, meine volle Größe wäre nicht so mickrig.
»Wer sagt, dass du darüber zu entscheiden hast?«
»Komm schon, Olivia, du hältst das doch nicht wirklich für eine gute Idee!« Gabriel dreht sich zu ihr um, die Arme vor der Brust verschränkt. Er sieht aus wie ein dickköpfiges kleines Kind. Auf der Wange hat er den Abdruck eines Sofakissens und sein Hemd ist falsch geknöpft.
»Es war meine Idee«, erwidert sie milde, »daher halte ich sie tatsächlich für ziemlich gut.«
»Olivia!«
»Es reicht, Gabriel«, fauche ich ihn an. Seine Kinnlade fällt runter, aber ich rede weiter. » Ich muss mich darum kümmern. Das kapierst du doch, oder? Und ich habe nicht ewig Zeit, nicht nach dem, was gestern passiert ist. Also werden wir fahren. Und wir sehen dich dann, wenn wir wiederkommen und nicht von Danny getötet worden sind, der unser Gehirn aufgegessen hat oder wovor auch immer du solche Angst hast.«
Er presst die Zähne so fest zusammen, dass ich mich wundere, wie er überhaupt ein Wort herausbekommt. »Ich möchte nur helfen.«
»Aber das kannst du nicht. Ich meine, danke sehr, aber wie genau denkst du, soll es helfen, wenn du mit uns kommst, und Danny deswegen im Auto ausrastet? Oder sollen wir Danny hier lassen, damit er in der Wohnung randaliert?
»Ich habe es gestern auch geschafft«, protestiert er und wirft einen Blick auf seine geschlossene Zimmertür.
Danny schläft noch immer. Was die einzige Formulierung ist, die mir über die Lippen kommt, um zu beschreiben, wie reglos er daliegt, seit er auf Gabriels Bett gesunken ist. Aber er wird nicht für immer so liegen bleiben. Ich habe keine Ahnung, wie lange mein Bann wirken wird, und genau das ist der Grund dafür, dass Olivia und ich ihn mitnehmen.
»Als ich hier aufgetaucht bin, hast du ausgesehen, als hättest du zehn Runden mit Muhammad Ali hinter dir«, argumentiere ich und versuche, ihn nicht anzuschreien. Ich vibriere schon ein wenig, Nervosität und Hoffnung und Angst mischen meinen Darm auf wie eine verdorbene Suppe. »Du hattest nicht mal die Chance, mich anzurufen und mir zu sagen, dass er aufgewacht war.«
»Gabriel, manchmal ist das Beste, was man tun kann, um zu helfen, einen Schritt zurückzutreten«, sagt Olivia ruhig. Sie sitzt auf dem Barhocker am Frühstückstisch, Handtasche und Autoschlüssel abfahrbereit neben sich auf der Anrichte.
»Verschon mich mit deinen Yoga-Weisheiten, Liv«, faucht Gabriel.
Dieses Mal ist es meine Kinnlade, die runterfällt, aber Olivia schüttelt nur den Kopf und seufzt. »Er schmollt immer, wenn er seinen Willen nicht kriegt«, sagt sie zu mir.
Seine Antwort darauf ist, aus dem Raum zu stürmen und die Badezimmertür hinter sich zuzuknallen.
»Oh, total erwachsen. Mein Held.«
Olivia hält mich zurück, als ich in Gabriels Zimmer gehen will, um Danny zu holen. »Er meint es nur gut«, sagt sie. »Er hat dich wirklich gern und es ist schwer für ihn, dass er es dir nicht leichter machen
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