Deine Lippen, so kalt (German Edition)
bist diejenige …« Er zappelt und tritt wieder um sich. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, er versucht verbissen, sich gegen die Magie zu wehren, die ihn auf dem Sofa festhält.
»Beruhige dich«, flehe ich ihn an, während neue Tränen mein Gesicht hinunterströmen. Er ist so außer sich wie im Park, bereit, sich auf mich zu stürzen wie ein Stier und da er es geschafft hat, den Wohnzimmertisch umzuschmeißen, bin ich nicht sicher, wie lange der einfache Bann noch halten wird. »Bitte, Danny. In einer Minute können wir gehen, aber du musst dich jetzt bitte beruhigen.«
»Lass mich los.«
Drei simple Worte, und doch stehen sie für alles, was zu tun ich nicht über mich gebracht habe, seit er gestorben ist. Trauer und Reue durchströmen mich, und es fühlt sich an, als versuchte ich, vor dem Wind davonzulaufen – ich kann ihm nicht entkommen, also stemme ich mich stattdessen dagegen.
»Aufhören!«, brülle ich, genau wie an jenem Morgen im Park, und Danny sackt in sich zusammen wie eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hat. Er sinkt gegen das Sofa, als wären seine Knochen aus Gummi, wo er doch vor einem Moment noch vollkommen steif und widerspenstig war. Seine Augen stehen offen, sie starren an die Decke, ohne etwas wahrzunehmen.
Die Stille dröhnt in meinen Ohren, sie hält eine gefühlte Ewigkeit lang an, sodass ich zusammenzucke, als Olivia ein leises, wortloses Geräusch von sich gibt.
»Oh, Kindchen.« Rosalie, die hinter mir steht, legt eine Hand auf meine Schulter. Ich kann mir nicht erlauben, bei ihr Halt zu suchen, denn falls ich es doch tue, wird mein Herz in tausend winzige Stücke zerspringen, da bin ich mir ziemlich sicher.
Olivia zittert am ganzen Körper. »Ist schon okay«, sage ich. Meine Brust hebt und senkt sich immer noch deutlich mit jedem Atemzug. »Er ist in einer Art … Schlafzustand. Wie es schon mal der Fall war, als Gabriel und ich ihn in eure Wohnung gebracht haben. Aber du musst mir helfen, ihn ins Auto zu setzen, einverstanden? Olivia?«
Sie nickt.
»Schließ du den Wagen auf«, sagt Rosalie zu ihr. »Ich helfe mit dem hier.«
Da Olivia nicht viel größer ist als ich, protestiere ich nicht, aber es ist trotzdem immer noch lächerlich und vollkommen würdelos, wie wir zwei unter Dannys Gewicht schwanken, während wir an ihm stoßen und ziehen und zerren, um ihn hinaus in die Einfahrt und ins Auto zu verfrachten.
Das Gewicht eines Toten , wirft die Stimme in meinem Kopf anklagend ein, und ich beiße mir so fest auf die Unterlippe, dass neue Tränen fließen, nur damit sie verstummt.
Als wir Danny endlich auf den Rücksitz bugsiert haben, mit blicklosen Augen und bewegungslosen Gliedern, keuchen wir beide, aber Rosalie hält mich zurück, bevor ich mich auf den Beifahrersitz fallen lassen kann. Olivia sitzt bereits im Wagen, sie blickt starr geradeaus, ihre Hände umklammern das Lenkrad.
»Montagnacht ist Vollmond«, sagt Rosalie. Ihre rosigen Wangen sind jetzt noch röter und auf ihrer Stirn glänzt Schweiß, obwohl die Nachmittagsluft kühl ist. »An deiner Stelle würde ich nicht länger warten.«
Als ob das zur Debatte stünde. Sogar ich habe kapiert, dass ich nicht länger kneifen kann. »Aber wie …?«
»Was immer du getan hast, kehre es um.« Sie zuckt mit den Achseln und der Wind bläst ihr Haar aus dem Gesicht. »Mach es rückwärts. Denke an den Zauber, den du dir ausgedacht hast, und überlege, was dieser jetzt für dich tun soll. Denke daran … ihm etwas Frieden zu schenken. Bloß … wähle deine Worte weise.«
Die Fingerspitzen meiner geballten rechten Hand bohren sich in die Narbe auf der Innenseite und ich nicke. »Danke.«
»Hey, nichts zu danken, wirklich.« Als sie dieses Mal mit den Schultern zuckt, wirkt es etwas hilflos. »Und viel Glück.« Das werde ich ohne Zweifel brauchen.
Kapitel zweiundzwanzig
E s tut mir leid, dass Rosalie nicht helfen konnte.«
Olivia klingt wehmütig, was mich überrascht. Sie hätte mir gar nicht zu helfen brauchen. Sie hätte schreiend davonlaufen können, aber stattdessen tut es ihr leid. Sie ist ebenso feingliedrig gebaut wie Gabriel, wodurch der Eindruck entsteht, als könnte jede noch so leichte Brise sie umpusten, doch sie hat ein Rückgrat aus Stahl.
Genau wie ihr Bruder.
»Ich weiß, früher hat da drin wahrscheinlich mal ein herzensguter Junge gesteckt«, sagt sie und zuckt traurig mit den Schultern, »aber er ist wütend, Wren. Er ist wütend und verwirrt, und er ist tot. Und was noch
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