Deine Lippen, so kalt (German Edition)
als nur nah beieinanderzustehen, und als es weiterklingelt, saust er in die Küche, um ranzugehen.
Ich umarme mich selbst und warte, dabei weiß ich nicht mal worauf. Was immer Gabriel für mich empfinden mag, ich darf nicht zulassen, dass es mir etwas bedeutet. Ich werde früher oder später nach Hause gehen und meiner Mutter gegenübertreten müssen. Ich muss mich bei Jess und Darcia entschuldigen, falls sie mich lassen. Und ich muss mir einen Zauber ausdenken, der Danny zurück zu den Toten schickt.
Es spielt keine Rolle, dass ich gerade nichts lieber möchte, als Gabriel zu umarmen, seine Arme um mich zu spüren und seinen Mund auf meinem, um ihm etwas von meiner Angst und Trauer abzugeben.
Wahre Liebe sollte mehr als nur Trost sein, mehr als ein Weg zu vergessen. Einst hatte ich wahre Liebe, glaube ich, und was habe ich damit gemacht? Ich habe Danny gezwungen, all diese Dinge für mich zu tun, dabei war er derjenige, der am meisten Frieden gebraucht hätte.
Als Gabriel meinen Arm berührt, bin ich so in Gedanken, dass ich erschrocken zusammenzucke. Er hält mir das Telefon hin, ein billiges tragbares Gerät und sieht mich mit gerunzelter Stirn an. »Es ist für dich.«
Meine Mutter, denke ich, und das Herz rutscht mir mit einem solchen Rums in den Magen, dass mir ganz schlecht wird. Ich kann mich nicht ewig verstecken.
»Hallo?«
»Wren, leg nicht auf.«
Als ob ich das tun würde. Es ist Tante Mari und ich bin so sprachlos vor Erleichterung, dass ich einen Schritt vorwärts stolpere. »Wie hast du …? Ich meine, woher wusstest du …?«
»Du bist nicht die Einzige in der Familie mit magischen Kräften.« Ich kann das Lächeln in ihrer Stimme hören, aber sie klingt auch erschöpft. »Ich habe einen Vorschlag für dich.«
Im Bliss ist nicht viel los, als ich dort ankomme. Es sitzen bloß zwei Leute aus der Schule an einem Tisch am Fenster und Tante Mari an einem anderen an der Wand. Vor ihr stehen bereits zwei große Becher Kaffee. Trevor hockt wie immer hinter dem Tresen und hebt den Kopf, als die Türglocke läutet.
»Du arbeitest heute nicht.«
»Du hast Glück, ich komme an meinem freien Tag her. Der Schuppen ist echt angesagt.« Es fühlt sich gut an, ihm was an den Kopf zu werfen, so wie ich es immer mache, besonders als er nur mit den Augen rollt, so wie er es immer macht.
»Heute geht nichts aufs Haus«, ruft er, als ich zu Maris Tisch rübergehe und einen Stuhl vorziehe. Das ist natürlich gelogen, aber auf knallhart zu machen ist eines seiner liebsten Hobbys.
»Wie ich sehe, hat Trevor nichts von seinem Charme verloren«, stellt Mari trocken fest, und zwar so laut, dass er es auch ganz bestimmt hört.
»Du auch nicht«, gibt er zurück und einen Moment später haut er in die Tasten, als wäre ein kleines Geplänkel genau das gewesen, was er gebraucht hat, damit seine kreativen Säfte wieder fließen.
Ich hänge meine Tasche über die Stuhllehne und werfe zum ersten Mal seit Monaten einen ausgiebigen Blick auf Mari. Ich habe sie zuletzt ein paar Wochen nach Dannys Beerdigung gesehen, und zu dem Zeitpunkt verbrachte ich jede freie Minute damit, wie besessen Zauberbücher zu studieren. Sie war die letzte Person, die ich damals sehen wollte.
Sie sieht gut aus, trotz der dunklen Schatten unter ihren Augen und dem chaotischen Lockenwust auf ihrem Kopf, der erahnen lässt, wie groß ihre Sorge ist. Es gibt nur zwei Erklärungen dafür, woher sie weiß, dass ich abgehauen bin, und ich würde glatt wetten, dass Mom sie angerufen hat und nicht Robin. Das ist im Augenblick wohl kaum das Wichtigste, aber immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer.
»Geht es dir gut?« Sie greift über den Tisch, um ihre Hand auf meine zu legen, und mir gelingt nicht mehr als ein Nicken. Tränen schnüren mir plötzlich wieder die Kehle zu.
»Mehr oder weniger, hm?«, sagt sie. Ihr Lächeln ist liebevoll. »Deine Mom befindet sich im Moment am Weniger-Ende der Skala, genau wie Robin. Sie hat gesagt, sie habe dir gesimst, aber du hättest nicht geantwortet.«
Oh nein. Robin muss außer sich sein vor Angst. »Ich habe seit gestern keinen Blick auf mein Handy geworfen.«
»Das habe ich mir gedacht. Und auch wenn du jetzt vielleicht sauer wirst – ich habe ihnen erzählt, dass du einverstanden seist, mich hier zu treffen. Nur damit sie wissen, dass es dir gut geht.«
»Ich hatte vor, wieder nach Hause zu gehen. Echt«, sage ich, aber heraus kommt nur ein heiseres Krächzen. Irgendwann, wenn das hier vorbei ist, werde
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