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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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Verwirrung finden würde.
    »Möglich ist alles!«, fügt sie nur einen Moment später, mit einem hoffnungsvollen Lächeln auf den Lippen, hinzu.
    »Wo waren wir stehengeblieben?«, fragt Peter, als das Malheur beseitigt ist und wir alle wieder am Tisch Platz genommen haben.
    »Dass ich nicht die Einzige bin!«, erklärt Jenny sofort. »Leider!«, fügt sie schnaubend hinzu und kassiert ein heiteres Lachen der kompletten Runde. Mit einem Kopfschütteln zieht Peter sie auf seinen Schoß. »Ja, Jennifer ist unser Nesthäkchen. Wir haben noch einen Sohn, Sam – wagt es bloß nicht, ihn Samuel zu nennen –, und eine Tochter. Die Älteste nach Amy. Sie heißt Elena, aber wir nennen sie meistens Lena.«
    Ich spüre Amys Hand, die sich in meinen Oberschenkel krallt, und ergreife sie – auch wenn ich momentan selbst ziemlich fassungslos bin.
    Sie hat wirklich
drei
Geschwister, das ist unglaublich.
    »Sam wird auch bald aus der Schule kommen, vielleicht siehst du ihn ja noch. Elena kommt erst am Wochenende. Sie studiert. Momentan steckt sie voll im Prüfungsstress und büffelt wie eine Besessene.«
    »Oh!«, ist alles, was ich auf diese Neuigkeiten erwidern kann. Evelyn reicht mir ein Foto von der Anrichte, das ihre drei Kinder zeigt. Amy reißt es mir fast aus der Hand, besinnt sich dann jedoch und wartet mit unterdrückter Hibbeligkeit, bis ich ihr das Bild kurz darauf reiche.
    Ihr Bruder ist etwa sechzehn Jahre alt und sieht aus wie ein jüngeres Exemplar seines Vaters. Das breite Lächeln, die braunen Haare und Augen.
    Die älteste Schwester, Elena, ist Amy ebenso aus dem Gesicht geschnitten wie die kleine Jenny. Es ist fast so, als hätten Peter und Evelyn nur über eine einzige Backform für Mädchen verfügt. Elena ist sehr hübsch, und alle Fragen, die Amy und ich jemals bezüglich ihres Aussehens hatten, sind mit einem Schlag ausgelöscht. Genau
so
sähe auch Amy aus, wenn sie noch in ihrem alten Körper stecken würde. Als Amy mir endlich das Bild reicht und dabei krampfhaft versucht, das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle zu bringen, fliegt mein Blick noch einmal über die Geschwister, und mir fällt etwas auf.
    »Wie alt ist Elena?« Kaum ausgesprochen, kommt mir diese Frage sehr direkt vor. »Noch ist sie zwanzig, aber in ein paar Wochen wird sie einundzwanzig«, antwortet Evelyn, und ihr Gesichtsausdruck bekommt wieder diese melancholische Note.
    »Du fragst gewiss, weil … Ja, ich war schwanger mit ihr, als das mit Amy und dir passierte.«
    Schnell senke ich den Blick. Evelyn hat recht, genau das war mein Gedanke gewesen.
    »Elena war ein riesiger Trost für uns«, erklärt Peter. »Versteh mich nicht falsch. Niemand hätte unsere Amy jemals ersetzen können, aber wenn wir Elena nicht gehabt hätten, und wenn Evelyn damals nicht schon gewusst hätte, dass bereits neues Leben in ihr war ... Ich weiß nicht, ob wir es geschafft hätten, Amys Tod jemals so zu verwinden, dass wir normal hätten weiterleben können. Geschweige denn, ob wir das überhaupt gewollt hätten.«
    Auch Evelyn nickt stumm vor sich hin. Sie hat Jennys Hand genommen und streichelt sie zärtlich. »Ja. Es war auch so schon schwierig genug. Gott weiß, wie sehr Elena uns immer wieder an Amy erinnert hat. Lena sah wirklich genauso aus wie sie, und andauernd haben wir die Namen verwechselt und sie Amy gerufen. Einige Male, wenn ich Lena beim Spielen oder beim Schlafen beobachtete, überkamen mich tiefe Schuldgefühle. Ich fühlte mich schuldig, sobald Elenas Anblick mich glücklich machte, weil ich das Gefühl hatte, Amy damit zu verraten. Wie konnte ich mich über das eine Kind freuen, wenn das andere doch tot war. Es hat so lange gedauert und uns so viele Therapiestunden gekostet, diese Gefühle als unabhängig voneinander zu akzeptieren und beides auszuleben – die tiefe Trauer um unsere kleine Amy und die Freude über ihre Geschwister.«
    Alles in mir möchte an diesem Punkt nur noch laut »Stopp!« schreien. Das ist zu viel für sie, ich kann es spüren. Es ist ja selbst mir zu viel. Ich muss Amy hier rausholen, und zwar schnell. Sie atmet nur noch flach, das Zittern ihrer Hände ist extrem stark.
    Ohne sie anzusehen, bin ich mir fast sicher, dass sie die Innenseite ihrer Wangen mittlerweile blutig gebissen hat, um nicht zu weinen. Denn natürlich ist Amy nicht dumm. Sie weiß genau, dass – wann immer sie die Kontrolle verlieren und eventuell sogar versuchen würde, sich vorschnell zu erkennen zu geben – dieses Gespräch

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