Deine Seele in mir /
bringe es einfach nicht fertig, sie weiter Julie zu nennen. Nicht in diesem Moment. Zunächst noch sehr skeptisch sieht sie mich an, doch dann scheint sie zu verstehen ... und lächelt.
»Ja«, erwidert sie leise.
Ihre Eltern sehen erwartungsvoll zu ihr auf.
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XX. Kapitel
E s gibt einen besonderen Grund, warum wir hier sind«, beginnt Amy vorsichtig.
»So?« Evelyn lächelt. Gleichzeitig wischt sie sich die letzten Tränen aus den Augenwinkeln. »Und der wäre?«
»Oh, Gott.« Amy holt tief Luft und scheint ein Stoßgebet gen Himmel zu senden. »Ich hoffe wirklich, dass ihr mir glaubt.«
»Was sollen wir Ihnen glauben, Julie?«, fragt nun auch Peter unsicher.
»Ich hoffe, dass ihr mir glaubt, wenn ich euch sage … dass ich eure Tochter bin. Ich bin Amy!«
Peter und Evelyn sehen zunächst eine Weile Amy an, dann werfen sie sich gegenseitig einen Blick zu, der eindeutig zeigt, dass sie Amy für hoffnungslos durchgeknallt halten und nur noch überlegen, wer von ihnen aufstehen und möglichst unauffällig die Irrenanstalt benachrichtigen soll.
Dann trifft Peters Blick auf mich – kühl und streng.
»Matt, was soll das? Warum kommst du her und lässt diese fremde Frau so etwas behaupten? Findest du das nicht geschmacklos? Oder … glaubst du etwa, was sie da sagt, Junge?« Sein Ton schwankt zwischen Wut und Mitleid.
So gerne ich in diesem Moment auch aufstehen und wortlos weggehen würde – es ist nun an der Zeit, deutlich Stellung zu beziehen.
»Bitte, Peter!« Woher ich die Dreistigkeit nehme, ihn plötzlich zu duzen, weiß ich auch nicht, aber ich beschließe, es einfach so im Raum stehen zu lassen. »Gib ihr eine Chance! Ja, ich glaube ihr, denn ich habe Wunder neben dieser Frau erlebt. Ich bin bestimmt der letzte Mensch auf der Welt, der mit eurer Trauer und Verzweiflung spielen will. Warum sollte ich das tun?«
»Warum du das tun solltest, Matt?« Sein Blick ist nun sehr sanft, fast väterlich besorgt. »Weil du selbst ebenso verzweifelt und traurig bist wie wir. Und weil du offensichtlich immer noch unter einem Trauma leidest. Ich behaupte doch nicht, dass du hier irgendetwas aus Böswilligkeit tust, Junge. Aber … ehrlich, du bietest das perfekte Beuteschema für Hochstapler und Betrüger. Und wir auch.«
»Nein!«, antworte ich entschieden. »Was ihr nicht wisst …«
Noch einmal atme ich tief durch. Es ist Amy, für die ich hier gerade durchs Feuer gehe, und nur für sie würde ich das auch tun.
»Meine Eltern starben vor zwölfeinhalb Jahren bei einem Flugzeugabsturz. Es war ihre erste große Reise. Europa – ein lang gehegter Traum. Und dann stürzt diese verdammte Maschine aus unerfindlichen Gründen in den Ozean.«
Ich blicke von der Tischplatte auf und sehe zuerst Peter, dann auch Evelyn direkt in die Augen. Fassungslos starren sie mich an.
»Bitte, erklärt mir, warum ich nicht meine, sie wiedergefunden zu haben. Sie waren meine Eltern, und ich würde nahezu
alles
dafür geben, nur noch einen einzigen Tag mit ihnen verbringen zu dürfen. Doch ich weiß, dass ich diese Chance niemals bekommen werde. Aber genauso sicher bin ich mir, dass hier, direkt neben mir, eure Tochter sitzt. Bitte, lasst uns erzählen – und zwar alles. Dann könnt ihr immer noch entscheiden. Aber bitte, hört ihr zu. Alles, was sie sagt, ist wahr, das schwöre ich euch.«
Peter und Evelyn werfen sich einen bedeutsamen Blick zu. Offensichtlich sind sie geschockt – und auch ratlos.
»Deine Eltern sind tot, Matty?«, fragt Evelyn schließlich mit erstickter Stimme und wischt sich die erneut aufsteigenden Tränen aus den Augenwinkeln. Ich senke meinen Blick zurück auf die Mahagoni-Tischplatte. Einige Sekunden später nickt Evelyn ihrem Mann zu.
»Also los, erzählen Sie«, sagt Peter zu Amy, ohne sich um einen freundlichen Ton zu bemühen.
Der Grat, auf dem wir uns nun bewegen, ist so schmal, dass es mehr als nur ein Kunststück ist, darauf zu balancieren, ohne das Gleichgewicht zu verlieren und auf verbotenes Terrain zu treten.
Ein falsches Wort, ein versehentliches »Mom« oder »Dad« aus Amys Mund, und beide würden das Gespräch sofort abbrechen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Aus Liebe und Respekt ihrer Tochter gegenüber.
Amy tut zunächst gar nichts. Sie scheint zu überlegen, und ich wette, dass sie im Schnelldurchlauf noch einmal all die Möglichkeiten durchgeht, die sie sich im Vorfeld bereits parat gelegt hat. Ich kenne Amy – sie hat wahrscheinlich jede nur denkbare Situation
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