Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
Vom Netzwerk:
unwillkürlich eine ungewollte Wendung nähme.
    All die Vertrautheit, die in diesem Raum momentan noch herrscht, wäre dann vermutlich sofort zerstört.
    Peter, dem dieses Thema anscheinend auch zu hart für Jenny ist, schickt die Kleine unter einem Vorwand hoch in ihr Zimmer. »Jenny, du musst für deine Mathearbeit lernen. Geh hoch und fang schon mal an. Ich gebe dir nachher noch ein paar Aufgaben.«
    Mürrisch, jedoch ohne Widerworte zu geben, steht Jenny auf und trottet davon. Genauso hätte auch Amy damals reagiert.
    »Matty, seit diesem schrecklichen Tag … Es gibt so viel, was ich dich fragen möchte«, sprudelt es aus Evelyn hervor, kaum dass Jenny die Tür hinter sich geschlossen hat.
    Peter nickt und löst seine Frau ab. »Ja! Wir durften deine Zeugenaussage nicht einsehen, da man damals ein besonderes Auge auf uns – also, auf mich und deinen Vater – geworfen hatte. Weißt du überhaupt davon?«
    Nein, das wusste ich nicht.
    »Man hat
Dad
verdächtigt?«, frage ich ungläubig, und auch Amys Kinnlade klappt herab.
    »Ja«, bestätigt Peter.
    Ich sehe genau, wie es unter seiner scheinbar gefassten Oberfläche brodelt. Seine Kiefermuskeln spannen sich an, die Augen werden schmaler.
    »Wir standen beide unter Tatverdacht, ist das nicht absurd? Ich weiß jedenfalls nichts von dem, was du mitgemacht hast. Ich weiß, dass du schwer am Kopf verletzt warst und halb ohnmächtig, als wir euch endlich fanden. Aber ich weiß bis heute nicht, wie lange genau du da saßest und ob …« Die nächsten Worte fallen ihm sehr schwer, und er muss sich deutlich überwinden, um seinen Satz überhaupt zu Ende zu bringen. »… ob du alles mit ansehen musstest, was dieser Scheißkerl unserem Mädchen angetan hat.«
    Die Wut in seiner Stimme berührt mich tief. Ich erinnere mich gut an den jungen Peter, der bereits im Alter von nur neunzehn Jahren Vater geworden war und der seine Tochter dennoch inniger geliebt hatte, als manch reiferer Mann sein Kind liebt.
    Amy war sein Ein und Alles gewesen, und sämtliche Strenge, die sie als Kind erfahren hatte, war ausschließlich von ihrer deutlich objektiveren Mutter gekommen. Denn diese hatte sich, im Gegensatz zu Amys Vater, nicht so einfach von ihrer Tochter um den Finger wickeln lassen.
    Mit einem mulmigen Bauchgefühl senke ich den Blick.
    Amy, die natürlich genau weiß, wie schwer es mir fällt, auf Fragen dieser Art zu antworten, hält meinen Daumen fest, an dem ich unbewusst schon wieder gekratzt hatte. Sanft drücke ich ihre Hand, und unsere Blicke verschmelzen für einen kurzen Augenblick ineinander. Das reicht – es gibt mir die nötige Kraft.
    »Ich habe
alles
gesehen«, beginne ich. »Er hat sie … vergewaltigt und … ließ auch nicht von ihr ab, als sie schon tot war. Danach wollte er auch mich erwürgen. Aber dann, aus welchem Grund auch immer, ist er mittendrin einfach aufgestanden und weggerannt. Uns ließ er achtlos zurück. Den ganzen Tag saß ich neben Amy. Ich bekam kaum Luft, weil ich damals schon ein wenig mit meinem Heuschnupfen zu tun hatte und so geknebelt ja nur durch meine verstopfte Nase atmen konnte. Mein Kopf tat weh, und ich hatte schreckliche Angst, er könne es sich anders überlegen und zurückkommen. Ich habe immer wieder versucht zu rufen, was natürlich unmöglich war, und ich …«
    Ich kann nicht weiterreden. Peter und Evelyn scheinen das zu spüren. Evelyn weint mittlerweile, auch die Fassade ihres Mannes bröckelt nun endgültig. Mit seiner zittrig verkrampften Hand fährt er sich über das Kinn. Als ich abbreche, fasst er in einer entschuldigenden Geste nach meinem Knie.
    »Es tut mir leid, Junge! Ich hätte dich das nicht fragen dürfen. Kaum kommst du hier rein, nach so langer Zeit, bestürmen wir dich. Du hast zu viel mitgemacht, Matt!«
    Mit beiden Händen rauft er sich plötzlich die Haare, als wolle er sich vor dem Verrücktwerden bewahren.
    »Die Vorstellung, dass dieses Schwein noch immer frei herumläuft, bringt mich noch um«, murmelt er verbissen.
    Wir schweigen eine Weile. Amy streichelt mich tröstend. Und was für ein Trost es ist, ihre zärtlichen Fingerspitzen auf meiner Hand zu spüren. Denn ich weiß etwas, was ihre Eltern nicht wissen: Sie lebt!
    Und plötzlich ist es so ungerecht und einfach nur schrecklich, Peter und Evelyn diesen Trost vorzuenthalten.
    Sie
müssen
erfahren, was geschehen ist. Sofort!
    »Süße, wolltest du den beiden nicht etwas sagen?«, unterbreche ich schließlich, an Amy gewandt, die Stille.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher