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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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durchgespielt. Plötzlich erhebt sie sich und greift in die Gesäßtasche ihrer Jeans. Sie zückt ihren Ausweis und deutet auf das Datum.
    »Seht ihr, der Tag, an dem ich geboren wurde, ist Amys Todesdatum. Würde die Uhrzeit mit draufstehen, und würdet ihr die Zeitverschiebung zwischen Saint Toulouse und meinem Geburtsort im Nordwesten des Landes einkalkulieren, dann würdet ihr sehen, dass ich sogar zur selben Zeit auf die Welt kam, als Amy starb.«
    Zunächst schaut sie noch triumphierend, doch der nüchterne und völlig unbeeindruckte Blick ihrer Eltern holt sie schnell zurück.
    Sie atmet tief durch.
    Nein, Amy, so leicht werden sie es dir nicht machen, denke ich.
    »Ich weiß, dass das kein Beweis ist …«, lenkt sie ein, »aber ich
kann
es beweisen, ehrlich. Ich bin in diesem Körper wiedergeboren und vermute, dass unsere Seelen wohl immer wieder neu geboren werden, aber … ich konnte mich nicht von meinen alten Erinnerungen lösen. Ich fühlte mich weiterhin so, als wäre ich die neunjährige Amy aus Saint Toulouse. Weil ich in Gedanken immer wieder mein altes Leben aufsuchte, war ich für die wirkliche Welt nicht erreichbar. Und deshalb nahm meine Außenwelt mich als Autistin wahr.«
    An den Gesichtern von Amys Eltern kann ich deutlich erkennen, dass die verzweifelten Erklärungsversuche ihrer Tochter auf taube Ohren stoßen. Es ist so, als wolle Amy mit einer Handvoll Schnee eine Mauer aus Granit einreißen – sie ist völlig chancenlos.
    »Bitte, hört ihr zu«, flehe ich. »Was sie sagt, stimmt! Als ich sie zum ersten Mal sah, saß sie wippend auf dem Fußboden. Den Blick stur geradeaus gerichtet, schien sie nichts von ihrer Umgebung mitzubekommen. Nicht mal im Ansatz. Aber sie konnte Klavier spielen. Sie spielte immer wieder das Stück, das Amy für mich spielte, als wir noch Kinder waren.«
    Unaufgefordert steht Amy auf und setzt sich an ihr altes Klavier, das nach wie vor an seinem Platz neben der großen Glasvitrine steht, als hätte es die vergangenen einundzwanzig Jahre nicht gegeben.
    Amys Selbstverständlichkeit löst bei Peter Empörung aus. Schon will er sich erheben, um zu protestieren, doch Evelyn fasst beschwörend nach seiner Hand und hält ihn zurück. Mit zusammengepressten Lippen sackt er auf seinen Sitz.
    Amys Finger schweben schwerelos über die Tasten. Es ist überdeutlich, wie oft sie diese Melodie mittlerweile schon gespielt hat. Dabei wendet sie sich ihren Eltern zu und spricht derart mühelos mit ihnen, als würde sie nebenbei nur schnell den Staub von dem schönen Instrument wischen.
    »Ich kann euch Dinge erzählen, die nur ich weiß. Die nur ich wissen kann!«, beginnt sie eifrig.
    Die ruhige Melodie bleibt von ihrem Enthusiasmus unangetastet.
    Ich bemerke, dass sich Evelyn mit der rechten Hand über ihren linken Unterarm fährt. Ob sie wohl eine Gänsehaut hat – so wie ich?
    Amy jedenfalls ist nicht mehr aufzuhalten. Ohne Zweifel hat sie sich binnen der letzten Sekunden für einen neuen Plan entschieden und brennt jetzt darauf, ihn in die Tat umzusetzen.
    »Der Raum direkt über uns ist mein altes Zimmer. Ich weiß nicht, wie es jetzt aussieht, aber damals war es orange und gelb. Es hatte eine Blumentapete mit einer Borte, die ich über meinem Bett immer weiter abgeknibbelt habe, sosehr ihr auch darüber geschimpft habt. Mein Wandschrank war mit Filzblumen verziert. Meine Lieblingsbettwäsche war die mit den Baggern und Kränen drauf, die mir die Warners geschenkt hatten und die ihr eigentlich sofort weiterverschenken wolltet, weil sie eurer Meinung nach nicht zu einem Mädchen passte. Aber ich hab sie geliebt, und das hat dich …«, wohlbedacht darauf, kein vorschnelles »Mom« einzubringen, deutet sie mit dem Kinn auf Evelyn, »… immer verrückt gemacht. Weil du mich so gerne etwas mädchenhafter gesehen hättest. Aber ich war fast wie ein Junge, in meiner durchgewetzten, braunen Cordhose. Auf die hast du später gelbe Flicken genäht, und dann hat Uromi sie sogar noch mit einer grünen Borte verlängert, damit ich sie noch ein Jahr lang anziehen konnte. Im Endeffekt sah sie aus wie eine Clownshose, doch mir war das egal.«
    Amys Gesichtsausdruck birgt erneut etwas Triumphierendes in sich, denn ihre Eltern schauen nun schon ein wenig verdutzt. Sogar Peter. Dennoch – sämtliche ihrer Bemühungen werden hier nicht fruchten, das spüre ich genau. Noch nicht!
    Es ist ihr Dad, der sich nun doch langsam erhebt und eine Hand auf die Schulter seiner Frau legt. Fast ein

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