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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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wenig tadelnd sieht er zu mir und dann direkt in Amys Augen. Sein Blick ist so hart, dass sie ihren Monolog sofort unterbricht.
    »Woher auch immer Sie all diese Dinge wissen: Es ist beeindruckend und zugegebenermaßen ziemlich beängstigend, aber ebenso geschmacklos. Bitte, verlassen Sie unser Haus.«
    Noch einmal schaut er mich an. Deutlich nachgiebiger und weicher als zuvor seine Tochter. »Matt, ich verstehe, dass du verzweifelt bist, Junge. Wir können uns gerne noch einmal unterhalten, ohne deine Freundin, natürlich. Sei mir bitte nicht böse, wenn ich unser Gespräch an dieser Stelle unterbreche. Das … ist mir einfach zu verrückt.«
    »Nein, bitte!«, ruft Amy verzweifelt. Der Klang ihrer Stimme geht mir durch und durch. Sie springt auf und blickt sich hilfesuchend um. Dann scheint ihr etwas einzufallen, und ein neuer Hoffnungsfunke blitzt in ihren Augen auf. »Kennt ihr noch unseren geheimen Kodex? Jeder, der in die Kuschelhöhle wollte, musste ihn sagen.«
    Auffordernd sieht sie Evelyn an, die jedoch weiterhin schweigt.
    »Kuschelhöhle öffne dich, lass in deine Wärme mich«, sagt Amy leise.
    In Evelyns Augen steigen neue Tränen auf, und sie scheint mit ihren Gedanken weit, weit weg zu sein. Die zweite Zeile des Kodex spricht sie fast flüsternd mit Amy gemeinsam.
    »Eins, zwei, drei – lass mich hinein, denn auch ich will kuschelig sein.«
    Amy und ihre Mom sehen sich tief an. Beide teilen dasselbe schmerzliche Lächeln, und für den Bruchteil einer Sekunde schöpfe auch ich wieder Hoffnung.
    Doch sofort ist Peter da. Sein derber Tonfall lässt die fast schon magische Stimmung der vergangenen Sekunden wie eine Seifenblase zerplatzen. »Hören Sie auf, Julie! Sie verwirren meine Frau. Glauben Sie denn nicht, dass eine Mutter, die von der Vergewaltigung und brutalen Ermordung ihrer kleinen Tochter erfahren musste, schon genug gelitten hat?«
    Wäre ich an Amys Stelle, dann hätte ich spätestens jetzt aufgegeben und den beiden eine erste Verschnaufpause vor einem weiteren Versuch gegönnt.
    Ich weiß, dass sie ihr Elternhaus mit dem festen Vorsatz betreten hatte, am Anfang nicht allzu fordernd und hartnäckig zu sein, doch als sie sich nun von ihrem Klavierschemel erhebt und Peter mutig entgegentritt, blitzt der alte Kampfgeist in ihren Augen auf.
    Mit angehaltenem Atem beobachte ich sie.
    Oh, mein Gott!
    Ring frei für Amy ...
    »Oh, doch! Ich finde, ihr beide habt mehr als genug mitgemacht. Deswegen bitte ich euch ja, mir zuzuhören. Ich kann einen großen Teil eurer Last von euch nehmen. Ich lebe, ich bin hier! Und auch, wenn ich nicht mehr so aussehe, wie ihr mich in Erinnerung habt, dann lasst euch trotzdem gesagt sein, dass ich es
bin.
Ich bin eure Tochter Amy. Bitte, glaubt mir!«
    »Nein, das werden wir nicht!« Peter wird langsam rasend vor Wut. Die Vene an seinem Hals tritt bereits bedrohlich hervor. So habe ich ihn noch nie zuvor erlebt.
    »Daddy, bitte«, fleht Amy erneut. Ich schlage innerlich bereits die Hände über dem Kopf zusammen, als sie diese Worte ausspricht. Peter steht kurz vor dem Platzen. Auf eine fast schon angsteinflößende Art schließt er mit zwei großen Schritten die Distanz zu Amy und baut sich vor ihr auf. Schnell erhebe ich mich – bereit, mich schützend vor sie zu stellen. Nicht nötig. In letzter Sekunde wendet er sich mir zu. »Matt, los! Raus hier, bevor ich mich vergesse!«
    Sofort greife ich nach unseren Jacken, die ich über die Lehne des Sessels gelegt hatte. Im selben Moment jedoch erhebt sich Evelyn und geht an mir vorbei auf Peter zu.
    »Warte!«, befiehlt sie mir mit einem strengen Seitenblick, der keinen Widerspruch zulässt, und nimmt dann die Hände ihres Mannes. »Warte«, sagt sie auch zu ihm – deutlich sanfter, jedoch ebenso unumstößlich.
    Dann wendet sie sich Amy zu, die sich schützend die Arme über den Kopf geschlagen hatte, als ihr Vater so wutentbrannt auf sie losstürmte. Nach wie vor in dieser Haltung, weint sie vor sich hin. Ihr Schluchzen ist so leise, dass ich es lediglich an ihren unkontrolliert zuckenden Schultern erkenne.
    Evelyn nimmt Amys Hände und führt sie langsam herab, so dass sie ihrer Tochter direkt in die Augen sehen kann.
    »Sieh mich an!« Wieder dieser unerschütterliche Ton, mit dem sie uns früher auferlegt hatte, die Hände zu waschen oder die Schuhe ordentlich hinzustellen. Sie so sprechen zu hören gibt mir sofort das Gefühl, wieder ein kleiner Junge zu sein.
    Amy blickt ihre Mutter aus verweinten Augen an.

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