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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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notdürftig den Staub aus dem Gesicht wischt und aus ihren langen Haaren klopft.
    Unter Verwendung meiner Lippen helfe ich – zugegebenermaßen nicht uneigennützig – dabei, ihren Mund und ihre Wangen zu säubern, doch kurze Lachanfälle schütteln mich zwischendurch immer wieder. Als wir uns endlich einigermaßen beruhigt haben, steht sie auf und reicht mir eine Hand.
    »Was denn? Willst du mich jetzt von der Klippe stoßen, nur weil ich dich ausgelacht habe?«, frage ich grinsend.
    »Komm schon!«, fordert sie schelmisch und zerrt mit aller Kraft an mir. »Stelle dich deinen Ängsten, Matty!« In ihren grünen Augen funkelt der Schalk.
    Sie führt mich dicht an den Abgrund heran. Der Himmel wirkt mittlerweile wie ein Aquarell, in ein leuchtendes Orange getaucht. Die untergehende Sonne lässt die Berge noch um einiges roter erscheinen, als sie es sowieso schon sind. Es sieht phantastisch aus, schlichtweg atemberaubend. Die Weite der Landschaft ist unbeschreiblich, und in diesem Moment bin ich tiefglücklich über meinen Entschluss, diese Reise mit Amy angetreten zu haben.
    Die Ereignisse der vergangenen fünf Tage in Saint Toulouse hatten sogar bei mir die Hoffnung auf eine große neue Familie geweckt.
    Sam und auch Jenny sind dank der Unnachgiebigkeit ihrer großen Schwestern inzwischen ebenfalls eingeweiht und beide ebenso überwältigt wie Elena.
    Gemeinsam hatten wir uns das Video von Tom und Kristin angesehen. Nach einer nachvollziehbaren anfänglichen Unsicherheit hatte diese Aufnahme das Eis zum Schmelzen gebracht. Danach wollten Evelyn und Peter unbedingt den Kontakt zu Amys neuen Eltern aufnehmen, und inzwischen hatten alle vier bereits ausgiebig miteinander telefoniert. Gestern erst hatten Peter und Evelyn Amys Geschwister zusammengetrommelt und ebenfalls ein Video von sich und ihren Kindern aufgenommen.
    Amy ihrerseits hatte ohne den Ansatz eines Zögerns mit einem »Nein!« geantwortet, als es darum ging, ob sie fortan wieder in Saint Toulouse oder Umgebung wohnen wolle. Sie erklärte, dass sie Kristin und Tom etliches schuldig sei und dass sie zu mir und folglich auch an meine Seite gehöre. Stolz erläuterte sie ihren Eltern unsere Pläne, den Traum von unserem Haus am See zu verwirklichen und irgendwann eine eigene Praxis zu eröffnen. Diese Worte aus ihrem Mund zu hören war die schönste Liebeserklärung gewesen, die sie mir hätte machen können.
    Obwohl es für Peter, Evelyn und auch für Amys Geschwister bestimmt alles andere als leicht war, ihre Entscheidung zu akzeptieren, taten sie es dennoch ohne Protest.
    Wahrscheinlich spürte Amys Familie genau, wie hin- und hergerissen sie sich fühlte, und vermutlich entschieden sie gerade deshalb bewusst und selbstlos, ihr diesen Entschluss nicht unnötig zu erschweren.
    Stattdessen trösteten sie Amy sofort mit möglichen E-Mails, Telefonaten und den günstigen Flügen, die es ihnen ermöglichen würden, sich so oft es eben ging zu sehen.
    Ein über unseren Köpfen kreischender Raubvogel reißt mich aus meinen Gedanken. Amy und ich stehen mittlerweile direkt an der felsigen Kante des Berggipfels. Sie deutet zum Himmel. »Sieh mal. Das nenne ich Freiheit!«
    Mit weit aufgespannten Flügeln lässt sich der Vogel vom Wind tragen. Einige Sekunden beobachten wir ihn voller Neid – die Perfektion, mit der er offenbar mühelos seine präzisen Kreise zieht. Dann sieht Amy zu mir empor und winkt mich mit einer Bewegung ihres Zeigefingers dicht an sich heran.
    »Und jetzt schrei, Matt! So laut du nur kannst«, flüstert sie mir ins Ohr. Ich zucke zurück und sehe sie zunächst noch fragend an, doch dann verstehe ich und erwidere ihr Lächeln mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken.
    Es gibt auf der ganzen Welt keinen besseren Platz als genau den, wo wir uns gerade befinden, um noch einmal ein unbeschwertes Kind zu sein. Das Grinsen entfaltet sich zwar zögerlich, aber dennoch unaufhaltsam auf meinem Gesicht. Die Versuchung ist zu groß.
    Ich löse den Blick von Amys Augen, drehe mich langsam der untergehenden Sonne entgegen und …
    »Ich trau mich nicht. Das ist zu peinlich.«
    Amy prustet los. »War ja klar!«
    Hilfesuchend blicke ich sie an.
    »Was? ... Oh nein, bei dieser Sache werde ich dein Händchen nicht halten, Matthew Jeremy Andrews. Du warst die ganzen Jahre über so ruhig und in dich gekehrt. Und du weißt genauso gut wie ich, dass es an der Zeit ist, endlich wieder frei zu sein. Also los, Mund auf und brüll, mein Löwe!«
    Ja, sie hat recht. Ich

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