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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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sonnengebräunten Gesicht zeugen von einem ereignisreichen Leben. Seine Haut wirkt wie knittriges Leder. Unter anderen Umständen wäre es sicher interessant, ihn zu massieren. Doch momentan sind meine Gedanken woanders. »Kommen Sie!« Er bedeutet mir, ihm zu folgen.
    Der Raum, in den er mich führt, ist stockdunkel. Als er auf den Lichtschalter drückt, sehe ich, dass wir in einer großen Halle stehen. Die Decke ist bestimmt fünfzehn Meter hoch.
    Hier gibt es viele riesige Boote und sogar eine Yacht, aber ich würdige all diese Prunkstücke kaum eines Blickes.
    In der hintersten Ecke lehnt ein kleines Boot aufrecht an der Wand und bekommt, so unscheinbar es auch ist, meine ganze Aufmerksamkeit.
    »Meinen Sie so etwas?«, fragt der kleine tatterige Mann und macht dabei tatsächlich Anstalten, das Boot allein auf den Boden zu kippen, um es mir zu präsentieren. Schnell eile ich ihm zu Hilfe und packe mit an. »Ja, genau so etwas meinte ich«, erwidere ich zufrieden, als es vor mir steht.
    »Dieses Boot muss aber noch behandelt werden. Es ist noch nicht lackiert. Ein Vorteil für Sie. So können Sie die Farbe aussuchen.«
    »Rot!«, bestimme ich, ohne das leiseste Zögern. »Ehrlich gesagt, würde ich es lieber selbst streichen. Sie können es mir natürlich gerne so berechnen, als hätten Sie es getan. Geben Sie mir einfach die Farbe mit.«
    »Lack, nicht Farbe«, verbessert mich der Alte ziemlich scharf, doch dann scheint er sich zu besinnen, und die Strenge weicht aus seinem Gesicht. »Ist gut, machen wir.«
    Langsam wackelt er vor mir zurück und verschwindet erneut hinter seinem Tresen. »Wohin sollen wir denn liefern?«
    Ich schreibe ihm die Adresse meiner Wohnung in großen Druckbuchstaben auf.
    »Das ist direkt in der Stadt. Sie müssen an den Hintereingang kommen, denn ich muss es im Keller lagern.«
    Der Alte nimmt den Zettel mit meiner Anschrift stumm entgegen, und ich bezahle in bar.
    Eine Woche später ist es so weit: Ich lackiere unser kleines Boot.
    In jeden Pinselstrich stecke ich all meine Liebe für Amy und unser Baby. Nun, obwohl ich nicht solche Kunstwerke male wie Amy – obwohl ich nur ein winziges Bötchen rot lackiere, verstehe ich, was sie meinte, als sie mir einmal erzählte, wie sehr das Malen die Anspannungen in ihr löst.
    Es ist tatsächlich befreiend, sich all seinen Gedanken hinzugeben, schweigend und allein mit sich selbst; und es ist befreiend, am Ende betrachten zu können, was man geschafft hat.
    Als die dritte und letzte Lackierung vollständig getrocknet ist, nehme ich einen weiteren, sehr kleinen Topf zur Hand.
    Ich rühre die weiße Farbe darin so lange durch, bis der Holzstil keine milchigen Schlieren mehr hinter sich herzieht.
    Auf den Knien schreibe ich langsam und mit akkuratesten Bewegungen, die ich meinen ungeübten Fingern abgewinnen kann,
AMY
auf den Bug des roten Bootes.
    Ich empfinde große Ehrfurcht und eine noch tiefere, seltsame Erleichterung, während ich konzentriert den Pinsel führe. Es ist ein komisches Gefühl, als meine Mundwinkel plötzlich zucken und mir bewusst wird, dass ich tatsächlich lächele – ein ehrliches Lächeln. Zum ersten Mal seit Monaten.
    Wie kann dieser Name – ihr Name –, so kurz er mit seinen drei Buchstaben ist, mir nur einen so großen Trost bieten? 

[home]
XXVIII. Kapitel
    G erade habe ich den letzten Pinselstrich gezogen und wische mir die Finger an einem sauberen Tuch ab, da klingelt mein Handy.
    »Hallo?«
    »Hallo Matt!«
    Es ist Kristin. Sie klingt aufgeregt, aber nicht im negativen Sinne. Oder?
    »Du ahnst nicht, wer gekommen ist.« Wie so oft vermischen sich Erleichterung und Enttäuschung miteinander und lassen meine Schultern einsacken. Kristins Aufregung hat nichts mit Amy zu tun.
    Ohne mich überhaupt raten zu lassen, fährt sie fort.
    »Diane und Wilson sind da, Matt. Überraschungsbesuch! Du kommst doch noch, oder?«
    Ich lege die Stirn in Falten. Komische Frage, ich komme doch immer. Seit Monaten habe ich keine einzige Nacht mehr in meiner Wohnung übernachtet. Streng genommen hätte ich sie schon längst kündigen können, wenn ich nur wüsste, wohin mit meinem Krempel – besonders mit meinen Büchern.
    »Sicher komme ich vorbei. Ich bin gerade fertig geworden«, erwidere ich bemüht gelassen. Als würde ich es schaffen, eine Nacht ohne Amys Nähe zu verbringen.
    »Super! Also, bis gleich.«
    »Bis gleich, Kristin.«
    Ein fröhliches Abendessen ist im Gange, als ich das Haus betrete. Mittlerweile habe ich einen

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