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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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Wehmütig gleiten meine Augen über Amys Bild, das seit einigen Wochen an der Wand über dem Sessel hängt. Es ist eines der Bilder von uns beiden, auf dem weiten Sonnenblumenfeld vor Saint Toulouse. Nachdem Kristin und Tom um die Bedeutung dieses Motivs wussten, hatten sie sich wohl entschieden, ein Exemplar aufzuhängen.
    Mittlerweile kann ich es ansehen, ohne dass mir sofort schlecht wird, und so bleibt mein Blick einen kurzen Moment lang an dem Bild hängen. Doch dann wird mir bewusst, wo ich bin und was ich hier gerade tue. Wilson könnte jederzeit wieder auftauchen. Was würde ich dann hier für eine Figur abgeben?
    Schnell verlasse ich das Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Leise schleiche ich über den kleinen Flur zu Amys Zimmer. Keine Ahnung, was Wilson so schockiert hat. Vielleicht saß ja eine Spinne an der Wand. Es soll auch gestandene Männer mit Arachnophobie geben.
    Müde streife ich mir die Klamotten vom Leib, wasche mir Gesicht und Hände und putze meine Zähne. Dann lege ich mich endlich neben Amy. Ich knete meine Finger ineinander, und als sie warm genug sind, rutsche ich ein Stück runter und schiebe eine Hand unter ihr Oberteil, direkt auf ihren gewölbten Bauch.
    Es dauert eine Weile, in der ich mit geschlossenen Augen so still halte wie nur möglich, doch dann spüre ich die leichten Bewegungen. Sie sind noch zart, und laut der Frauenärztin grenzt es an ein Wunder, dass ich überhaupt schon etwas spüre, doch ich kann es, und jede noch so kleine Zuckung in Amys Bauch lässt mein Herz vor Freude hüpfen.
    »Hallo Kleines«, begrüße ich unser Baby erneut. »Lass es dir gutgehen da drin, hörst du. Ich freue mich schon sehr auf dich.«
    Ich kuschele mich dicht an Amy. Wie so oft nehme ich einen ihrer Arme und lege ihn über meine Schulter. Ich weiß, sie würde mich streicheln und an sich drücken, wenn sie nur könnte, doch momentan liegt ihr Arm schwer und völlig reglos auf mir. Lediglich ihr Herzschlag und ihr flacher Atem beruhigen mich so weit, dass ich nach einigen Minuten bereit bin, mich der bleiernen Müdigkeit auszuliefern. Ergeben gestatte ich ihr, mich endgültig zu umhüllen.
    Ich recke mich und schließe Amys Augenlider mit einigen zarten, streichelnden Bewegungen, dann drücke ich ihr noch einen sanften Gutenachtkuss auf den Mund.
    Kurz darauf schlafe ich erschöpft ein. Ob Amy schläft oder nicht, das vermag ich nicht zu sagen.
    Mein eigener Schlaf ist flach und von verwirrenden Träumen zerfetzt; ich finde einfach keine Ruhe. An jedem Morgen konfrontiert mich der erbarmungslose Spiegel mit einem erschreckenden Bild: Unter meinen Augen liegen tiefe, dunkle Schatten; mein Blick ist matt, meine Haut viel zu blass.
    In dieser Nacht beschäftigt Wilson mich weiter. Obwohl ich das Thema eigentlich als abgeschlossen betrachtet hatte, scheint mein Unterbewusstsein damit nicht einverstanden zu sein.
    Etwas stimmt nicht, ich kann es spüren. Immer wieder sehe ich im Schlaf seine Augen. Diese kalten blauen Augen, deren Blick mich wie eine Pfeilspitze getroffen und durchbohrt hatte.
    Und dann wieder seinen geschockten Gesichtsausdruck und – fast wie in Zeitlupe – die Art und Weise, wie sich seine Grimasse schlagartig zu diesem nervösen Lächeln verzog, als Kristin ihn ansprach. Nein, etwas stimmt nicht. Dieser Überzeugung bin ich noch immer, als die frühe Julisonne ihre ersten Strahlen zu uns hereinschickt. Ich könnte heute länger liegen bleiben.
    Es ist Sonntag, der 04. Juli, Tag der Unabhängigkeit.
    Aber ich wälze mich nur noch hin und her, und so entscheide ich mich schließlich, doch schon aufzustehen, um Amy nicht zu stören. Langsam trotte ich ins Badezimmer.
    Das laue Wasser fließt an mir herab, wohltuend und erfrischend, und die Gerüche des Morgens umhüllen mich freundlich. Sie erreichen mich sogar unter der Dusche. Ich sehe Amys Duschgel auf der kleinen Ablage stehen und öffne es. Der Geruch von Honig und Lavendel strömt mir entgegen – ein wenig chemisch zwar, doch es reicht. Tief atme ich ein und lasse mich im Fluss all der Erinnerungen treiben, die dieser süße Duft in mir aufflackern lässt.
    Schlagartig fühle ich es: Alles wird gut werden!
    Ja, ich bin mir sicher, Amy wird zurückkommen. Früher oder später. Dieser junge Tag trägt etwas Besonderes in sich, etwas Einzigartiges, auch wenn ich noch nicht weiß, was es ist.
    Am Frühstückstisch kommen wir alle zusammen, nur Wilson fehlt. Zehn Minuten später trifft er schließlich ein, noch im

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