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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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auf ihn gerichtet.
    »Amy?«, fragt Diane mit einer viel zu hohen Stimme.
    »Schon wieder dieser Name. Warum nennt ihr sie denn so? Ich habe euch schon mal gefragt – erst Matt und dann dich, Kristin –, aber ihr weicht mir aus, wann immer ich euch diese Frage stelle. Los, raus damit! Warum nennt ihr Julie so?«
    »Weil sie es so
will
«, sage ich schnell und bestimmt, noch bevor ein anderer etwas erwidern kann. Diane reicht diese Erklärung erwartungsgemäß nicht aus. Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht sie mich an.
    »Sie hat sich selbst immer wieder in Visionen gesehen«, erkläre ich etwas holprig. Ich bin wirklich nicht gut darin, doch in diesem Moment ist es mir deutlich lieber zu lügen, als die Wahrheit wieder aufzurollen – mit all den Fragen, die sie aufwerfen würde. Also reiße ich mich zusammen und lüge, was das Zeug hält.
    »Das Mädchen, als das sich Julie selbst gesehen hat, hieß Amy. Für sie
ist
das ihr Name. Es ist kompliziert und sicher schwer verständlich für Außenstehende, aber so ist es nun mal.«
    Deutlicher kann man ja wohl nicht werden; dieses Thema ist abgeschlossen. Diane und Wilson nicken, doch ihre nach wie vor verständnislosen Gesichter sprechen eine andere Sprache.
    »Gibst du mir die Butter, bitte?«, fragt Tom und wirft mir einen dankbaren Blick zu. Fürs Erste dürfte uns meine dürftige Erklärung gerettet haben.
    Wenig später verabschiedet sich Wilson. »Seid mir nicht böse, aber ich bin sehr müde«, sagt er freundlich und klopft mit beiden Fäusten auf den Tisch. »Diese lange Fahrt schafft mich jedes Mal wieder. Also, gute Nacht zusammen. Bis morgen.« Mit trägen, schweren Schritten stapft er die Stufen zum Obergeschoss empor. Ich höre noch, wie er die Tür des Gästezimmers hinter sich schließt. Nur Sekunden später jedoch wird diese erneut aufgerissen, und Wilson poltert die Treppe wieder herab.
    Verdutzt wende ich mich ihm zu. Er sieht aus, als hätte er einen Geist gesehen, sein rechtes Auge zuckt nervös.
    »Was ist passiert?«, fragt Kristin.
    Wilsons Gesichtsausdruck ändert sich schlagartig. Er lächelt, in meinen Augen jedoch extrem verkrampft. »Nichts. Ich dachte nur …« Er stockt kurz, bevor er sich erneut auf seinen Platz setzt. »Ich dachte nur, dass es eigentlich gerade viel zu lustig war, um schon nach oben zu gehen. Schlafen kann ich doch immer noch, aber … wie oft sehen wir uns schon? Also, hast du noch einen Wein für mich, Tom?«
    Als er Tom sein Glas hinhält, beobachte ich, wie er die Hände dafür wechselt. Zunächst nimmt er das Glas mit seiner rechten Hand, die jedoch ziemlich zittert. Schnell klemmt er sie daraufhin zwischen seinen Oberschenkeln ein und reicht Tom sein Weinglas mit der Linken. Ich scheine jedoch der Einzige zu sein, dem Wilsons eigenartiges Verhalten auffällt. Diane, Kristin und Tom sind schon wieder in ihr Gespräch vertieft.
    Als mein Blick zurück zu Wilsons Gesicht schweift, trifft er auf kalte Augen! Sein Blick jagt mir unvermittelt einen eisigen Schauder über den Rücken, auch wenn er ihn sofort wieder abwendet. Irgendetwas stimmt hier nicht.
    »Ich gehe noch mal zu Amy«, entschuldige ich mich nur kurze Zeit später. »Hab vergessen, ihr die Augentropfen zu geben.«
    Es ist eine weitere Lüge, die mir jedoch so leicht von den Lippen geht, dass ich fast selbst daran glaube.
    Einstimmiges Nicken kommt zu mir zurück.
    »Ist er immer so besorgt? So ein lieber Kerl! Es ist doch ein Jammer ...« Diane versucht wahrscheinlich zu flüstern, doch nach mittlerweile bestimmt schon vier oder fünf Gläsern Sekt gelingt ihr das nicht mehr so recht. So höre ich auch auf den Stufen der schmalen Treppe noch jedes Wort von ihr.
    Oben angekommen, schleiche ich mich an Amys Zimmertür vorbei und öffne stattdessen leise die Tür zum Gästezimmer. Es ist die Neugierde, die mich in den kleinen Raum treibt.
    Was ist denn hier, das Wilson so erschreckt haben könnte?
    Regelrecht geschockt hatte er ausgesehen, als wäre ihm ein Geist begegnet. Doch ich kann den Grund für sein merkwürdiges Verhalten nicht ausmachen. Hier ist alles normal.
    Die Koffer stehen noch unausgepackt mitten im Raum, der sauber und aufgeräumt ist, wie immer.
    Kristin hat sogar schon das Bett frisch bezogen. Die große Tagesdecke liegt ordentlich zusammengelegt über der hohen Lehne des blauen Sessels. Amys Staffelei steht in der Ecke des Zimmers, hinter den kleinen Tisch gepfercht.
    Sie braucht sie momentan sowieso nicht, denke ich schmerzlich.

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