Deine Seele in mir /
die beiden so entschieden haben. Dennoch fühle ich mich irgendwie ... übergangen.
»Ist sie oben? Darf ich zu ihr?«, frage ich schließlich und versuche angestrengt, es nicht mehr wütend klingen zu lassen. Als Tom bejaht, gebe ich Mary mit einem kurzen Nicken zu verstehen, dass sie mir folgen soll, doch sie winkt ab.
»Nein, geh nur. Ich fände es nicht angebracht, einfach so mit dir zu kommen. Julie kennt mich noch nicht, und ich würde auch nicht so gerne neue Bekanntschaften aus meinem Krankenbett heraus schließen.«
Diese Aussage beschert Mary ein Lächeln von Kristin und Tom.
»Kommen Sie, Kleines, ich mache Ihnen einen heißen Tee«, beschließt Kristin und lotst Mary zurück in den Wohnraum.
Vorsichtig öffne ich die Tür zu Julies Zimmer. Sie liegt auf der Seite und schläft. Sehr dünn sieht sie aus – nahezu zerbrechlich. Ihr Atem geht regelmäßig, jedoch sehr flach und viel zu schnell. Auf ihrer Stirn schimmern Schweißperlen. Julies Lippen sind trocken, und unter ihren Augen liegen tiefe, dunkle Ränder.
Dennoch – sie ist bildhübsch.
Ein Seufzen entringt sich meiner Kehle. »Oh, Julie!«
Vorsichtig setze ich mich zu ihr auf die Bettkante.
»Was ist bloß los mit dir?«
Ohne Tom und Kristin in meiner Nähe fühle ich mich viel freier im Umgang mit ihr. Meine Hand bewegt sich wie von selbst zu ihrer Stirn, um eine der schweißnassen Ponysträhnen aus ihrem Gesicht zu streichen. Ich betrachte sie genau.
Die Kluft zwischen dieser Julie, blass und krank, und dem lebensfrohen Geschöpf aus meiner Vision scheint plötzlich so unüberwindbar zu sein, dass mich Zweifel überkommen. Werde ich die wahre Julie jemals finden?
Zumindest muss ich es versuchen, sage ich mir insgeheim, bevor der Mut mich verlassen kann.
Die Rückseiten meiner Finger gleiten über Julies Wange; sie glüht regelrecht. In unsichtbaren Spuren zeichne ich die Konturen ihrer Augen, Wangenknochen, Nase und schließlich auch Lippen nach.
Zu sehr auf meine Berührungen konzentriert, sehe ich nicht sofort, dass Julie ihre Augen öffnet. Ihr Blick trifft mich klar, doch ich bemerke ihn erst, als sich ihr Mund unter meinen Fingern zu einem Lächeln verzieht und sich ihre Lippen teilen. Im Schock ziehe ich meine Hand zurück und sehe sie an.
Julie blinzelt. Sie schluckt schwer und dann – endlich – höre ich wieder ihre Stimme. So rein und klar und doch so schwach, dass ihre Worte wie ein kleines Gebet klingen, das nun endlich erhört wurde.
»Matty. Du bist ... wieder da.«
Die Magie dieser Worte trifft mich unerwartet und tief. Matty – so hat mich seit meiner Kindheit niemand mehr genannt.
»
Ich
bin wieder da?«, höre ich mich fragen.
Oh, dieses Lächeln ... Es verzaubert mich unwillkürlich, und ich erwidere es so machtlos wie ein Spiegel. Kopfschüttelnd sehe ich sie an und greife nach ihrer Hand. »Ist das dein Ernst?«, frage ich leise. »Wo warst
du
denn so lange?«
In Julies Blick zeigt sich Bedauern. »Aber ... ich war doch immer da. Die ganze Zeit ... war ich immer nur bei dir, Matty«, haucht sie.
Alles in mir möchte aufspringen und wegrennen, doch ich verkrampfe jeden Muskel in meinem Körper so sehr, dass es mir unmöglich ist, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Nein! Diesmal brauche ich mehr ...
»Wie meinst du das?«, frage ich so leise, als würde ich um die Einweihung in ein streng gehütetes Geheimnis bitten. Doch sie hört mich – und sie reagiert. Das Sprechen fällt ihr schwer, vielleicht bereitet es ihr sogar Schmerzen, dennoch kommen die Worte deutlich und so sicher über ihre Lippen, als hätte Julie sie in Gedanken schon tausendmal gesprochen.
»An diesem Tag, im Wäldchen ... Ich habe dir doch versprochen, dass ich immer bei dir bleibe.«
»Aber Julie! Wir kennen uns doch erst seit ...«
»Nein, Matt!«, unterbricht sie mich – so schroff und energisch, wie die Schwäche ihres Körpers es erlaubt. Ihre Verzweiflung springt auf mich über und lässt mich erstarren.
»Nenn mich nicht Julie! ... Nicht auch noch du!«
Ich fühle deutlich, dass sie kurz davor steht, erneut abzudriften. Unwillig, sie schon wieder gehen zu lassen, drücke ich ihre Hand ein wenig fester und sehe ihr direkt in die Augen.
»Warte! Sag es mir! Warum soll ich dich nicht Julie nennen? Wie soll ich dich denn nennen? Wie ist dein Name?« Ohne Punkt und Komma stelle ich ihr meine Fragen – hastig und in purer Panik.
Panik vor ihrer Antwort, Panik, sie erneut wegtreten zu sehen, Panik vor meiner
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