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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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eigenen Hilflosigkeit. Julies Verzweiflung wird schlagartig von einer Traurigkeit abgelöst, die so tief ist, dass sie alles andere überschattet. Der Raum scheint sich zu verdunkeln, als ihre Augen den letzten Funken ihres Glanzes verlieren. Sie erstarren in Trostlosigkeit und verwandeln Julies Gesicht in eine Maske schrecklichen Kummers.
    »Erkennst du mich denn wirklich nicht, Matty?«, wispert sie. Ihre Stimme bricht weg, als sie meinen Spitznamen ausspricht. Anstatt mir die Antworten zu geben, um die ich sie gebeten hatte, öffnet sie noch einmal – mit letzter Kraft, wie es scheint – ihren Mund und beginnt, leise zu singen. Es ist diese kleine, monotone Melodie, die sie so oft vor sich hinsummt und der ich noch nie zuvor meine volle Beachtung geschenkt habe.
    Doch dieses Mal unterlegt sie die schwach gehauchten Töne mit einem kleinen Text. Die Worte, die ihre trockenen Lippen passieren, öffnen mir derart rasant die Augen, dass mir schwindlig wird und ich nach dem Nachttisch greifen muss, um nicht wegzusacken. Das daraufstehende Wasserglas fällt herab und zerschellt auf dem Parkett.
    Als ich sie wieder ansehe, liegt Julie reglos vor mir und starrt durch mich hindurch. Mein Herz rast. Wie ein Echo klingt ihr Gesang in meinen Ohren.
    »Eine Bitte habe ich: Vergiss es nie, mein treues Wort ...«
    Und ohne Probleme kann ich vervollständigen, wozu ihr die Kraft fehlt:
    »
Wo du auch bist, ich bin bei dir. Hier, so wie an jedem Ort.«
    Sie summt unseren Freundschaftsschwur – immer und immer wieder – seit so vielen Jahren schon. Und niemand hört sie, niemand versteht ihren Hilferuf. Nicht einmal ich.
    »Oh, mein Gott, Amy!«, rufe ich laut aus und sacke nun doch über ihr zusammen. Ich umschließe ihren zierlichen, fremden Körper mit beiden Armen und ziehe sie fest an mich.
    Wie, um alles in der Welt, kann ich dieses Versäumnis bloß je wiedergutmachen?
    Sie lächelt – reglos.

[home]
VII. Kapitel
    V om Lärm des zerspringenden Glases und von meinem kurz darauf erklingenden lauten Ausruf erschreckt, stürmt Kristin nur Sekunden später in das rosafarbene Zimmer. Das Bild, welches sich ihr bietet, lässt sie auf der Stelle erstarren; entsetzt schlägt sie die Hände vor ihrem Mund zusammen.
    Ich sitze auf der Bettkante – tief über ihre Tochter gebeugt, die ich fest in meinen Armen halte. »Bitte, komm zurück«, flehe ich sie immer wieder verzweifelt an und streichle dabei über das fahle, regungslose Gesicht.
    Erst als ich Kristin bemerke, die Panik in ihrem Gesicht erfasse und realisiere, dass ich mit meinem Verhalten der Grund dafür bin, schaffe ich es, wieder einigermaßen klar zu denken und sie endlich zu beruhigen.
    »Keine Angst, Kristin«, rufe ich. »Sie ist okay. Es geht ihr gut. Hab keine Angst, es geht ihr gut.«
    »Sie hat kaum noch Fieber, und die Banane hat sie auch gegessen«, verkündet Kristin bereits am selben Abend. Sie klingt jedoch bei weitem nicht so glücklich, wie diese Neuigkeit sie eigentlich stimmen müsste.
    Wir sind wieder unter uns – nur Tom, Kristin und ich. Gemeinsam sitzen wir um den großen Esstisch herum und starren, jeder für sich, stumm in unsere dampfenden Teegläser. Diane und Wilson sind bereits vor Stunden abgereist; sie hatten sich schon verabschiedet, während ich noch oben war.
    Wir alle sind wohl gleichermaßen erleichtert darüber, dass nicht noch weitere Personen Zeugen dieses überaus verwirrenden Ereignisses geworden sind.
    Auch Mary habe ich schon vor etlichen Stunden nach Hause gebracht. Nachdem ich mich einigermaßen gefasst hatte, erklärte ich ihr in groben Zügen, was geschehen war. Wie immer hatte sie aufmerksam zugehört und dankenswerterweise nicht weiter nachgebohrt. Mit nur einer Frage entschlüsselte sie mein verworrenes Gestammel und brachte es auf den einzig relevanten Punkt: »Du denkst also, dass Julie eigentlich Amy ist ... also, ihre wiedergeborene Seele oder so etwas?«
    Als sie das sagte, stellte ich fest, wie verrückt es sich anhörte. Dennoch nickte ich langsam, wenn auch mit gesenktem Blick. Erstaunlicherweise hatte Mary mir nicht das Gefühl gegeben, meinen Verstand verloren zu haben. Bewundernswert ruhig legte sie ihre winzige Hand über meine und beugte sich zu mir vor – wir saßen nebeneinander auf dem braunen Sofa im Wohnzimmer der Kents.
    »Matt, bring mich nach Hause!«, forderte sie schlicht. Auf mein trauriges Nicken hin hatte sie meine Hand gedrückt und meinen Blick gesucht. Erst als ich ihr direkt in die Augen

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