Deine Seele in mir /
Je mehr ich grübele, umso peinlicher wird mir das Ganze. Denn schließlich hat jeder seine privaten Momente. Augenblicke, in denen man völlig allein sein will. Und manches tut man nur, wenn man sich wirklich sicher ist, auch allein zu sein.
Doch so, wie es aussieht, hatte ich diese einsamen Augenblicke nie, und das ist schon extrem unangenehm.
Nicht zu lange grübeln!, gebiete ich mir.
»Ich hole nur schnell meine Schuhe und packe noch ein paar Sachen ein.«
»Okay. Darf ich mich umsehen?« Die Frage stellt sie aus reiner Höflichkeit. Eine Floskel, die unnötiger nicht sein könnte. Seitdem sich die Tür zu meiner Wohnung den ersten Spaltbreit geöffnet hat, wandert ihr Blick über alles, was er erfassen kann.
Ein Grinsen zieht sich über mein Gesicht. »Nur zu! Fühl dich wie zu Hause.«
Einige Sekunden vergehen, bevor Amy die Stille wieder unterbricht. »Apropos ›zu Hause‹: Was ist eigentlich aus dem Traum von deinem Haus am See geworden?«
»
Meinem
Haus am See?«, wiederhole ich lachend und werfe ihr einen Blick durch die offen stehende Schlafzimmertür zu.
Amy bemerkt es nicht.
Sie kniet auf dem Holzfußboden, neben einem meiner riesigen Bücherstapel, und liest sich die Titel durch. Es scheint also doch noch Dinge zu geben, die sie nicht von mir weiß. »Ja,
deinem
Haus am See. Ich weiß, wir wollten es beide, aber mein Traum war ... nun, sagen wir, auf Eis gelegt, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Stimmt«, gebe ich zu. »Meiner aber auch. Ich lege zwar seit Jahren schon jeden Cent, den ich nicht unbedingt zum Überleben brauche, zur Seite, aber ich will keinen Kredit aufnehmen, und es fehlt noch immer ein wenig.«
Nun blickt sie auf und wendet sich mir zu. Unsere Blicke treffen sich. »Wirklich? Du willst dieses Haus immer noch?«
Ich atme tief durch. Die Überraschung in Amys Gesicht stellt eine unglaubliche Erleichterung für mich dar. »Ja, sicher. Was glaubst du denn, warum ich in einer solchen Bruchbude hause? All mein Geld fließt nur diesem einen Traum zu. Kein Urlaub, kein teures Auto, kein Luxus. Und auch keine Lust, etwas Harmonie in diese Zwischenlösung hier zu stecken.«
Amy ist aufgestanden und einige Schritte auf mich zugegangen. Im Türrahmen bleibt sie stehen und mustert mich. »Jetzt verstehe ich das endlich. Diese kahle, ungemütliche Wohnung hier hat gar nicht zu dir gepasst. Aber jetzt leuchtet es mir ein. So warst du schon immer! Ganz oder gar nicht. Jahrelanger Verzicht zugunsten der
einen
großen Idealvorstellung. Das ist mein Matt!«
Ihr Lächeln trifft mich mitten ins Herz;
mein Matt
hat sie gesagt. Ihre Worte verhallen wie ein Echo in meinem Kopf. Ich schaffe es nicht, ihren Blick zu halten, und starre auf einen Fleck im Parkett.
»Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du das Ziel von dem Haus am See noch verfolgst. Ehrlich gesagt wäre ich auch nicht verwundert gewesen, wenn du nicht mal gewusst hättest, wovon ich überhaupt spreche. Wie schön, dass ich mich geirrt habe.«
»Wie schön, dass ich dich noch überraschen kann.«
Schnell wende ich mich wieder meinem Kleiderschrank zu.
»Hast du denn schon ein Grundstück?«, ruft Amy. Auch sie hat sich abgewandt und ist nun wieder im Wohnzimmer.
»Hm, vielleicht. Es ist in der Nähe von deinem ... ähm, dem Haus, in dem du nun wohnst.«
Sie lacht, als sie bemerkt, wie ungeschickt ich mich um die Bezeichnung »Elternhaus« drücke.
»Wirklich? Zeigst du es mir?«, fragt sie.
»Klar!«
Als ich meine einzige Pflanze – eine anspruchslose Palme – gegossen und meinen Rucksack gepackt habe, finde ich Amy über dem blauen Fotoalbum wieder. Ich hatte es aus dem Karton mit meinen Erinnerungen geholt, bevor ich die restlichen Dinge zu Tom und Kristin gebracht hatte. Seitdem lag es in meinem Wohnzimmer, und dort hat Amy es nun gefunden.
Still betrachtet sie die Seiten, zu denen Kristin und Mary nach ihrem Schock nicht vorgeblättert hatten. Seiten, hinter deren Klarsichtfolien ich all die Zeitungsartikel eines Flugzeugabsturzes aufbewahrt habe. Mein Album endet mit dem Foto eines frischen Grabes.
Martha und Theodor Andrews
lautet die große Inschrift auf dem schlichten, grauen Stein, vor dem sich ein wahres Blumenmeer erstreckt.
Ich stelle meinen Rucksack ab und nehme neben Amy Platz.
Also gut, nun ist es wohl so weit.
»Du warst gerade achtzehn, nicht wahr?« Ihre Stimme trägt die Worte kaum.
»Noch nicht. Es war zwei Tage vor meinem Geburtstag. Sie hatten den Rückflug extra so gelegt; wir wollten
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