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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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zusammen feiern. Meine Mom sagte, so könnten sie in Ruhe auspacken und von ihren Erlebnissen erzählen, und am nächsten Tag wollte sie meinen Kuchen backen. Das tat sie immer einen Tag zuvor.«
    Amy greift nach meiner Hand und hält sie fest. »Du hattest keinen Kuchen«, flüstert sie. Tränen füllen ihre Augen.
    In meinem Magen macht sich der wohlbekannte Druck breit – wie immer, wenn jemand Mitleid für mich empfindet.
    »Nein, kein Kuchen. Mir war aber auch nicht zum Feiern zumute. Die Maschine stürzte über dem Atlantik ab. Man hat sie nie gefunden.«
    Ich bin mir bewusst darüber, dass ich Amy Dinge erzähle, die sie vermutlich schon weiß. Trotzdem hängt sie an meinen Lippen.
    »Aber ... es gab eine Beerdigung ...« Auch diese Feststellung lässt sie eher wie eine Frage klingen.
    »Ja, so etwas in der Art. Es war eigentlich mehr eine Trauerfeier. Ich hatte ja nichts zu beerdigen. Es gab ein Schmuckkästchen, das meine Mutter sehr liebte, und eine große Zigarrenkiste, die meinem Vater zeit seines Lebens heilig gewesen war. Diese Behältnisse füllte ich mit Dingen, die ich den beiden unbedingt mitgeben wollte. Und ... mit einem Brief für jeden von ihnen.«
    Die letzten Worte fallen mir sehr schwer. Tränen steigen in mir auf, brennen in meiner Kehle und hinter meinen Augen, doch wie gewöhnlich lasse ich es nicht zu, dass sie mich überwältigen.
    Amy streichelt über mein Gesicht. »Das war eine wunderschöne Idee von dir. Die beiden wären so stolz auf dich, wenn sie dich sehen könnten. Und ich persönlich halte es durchaus für möglich, dass sie noch irgendwo unter uns sind. Ich weiß es nicht, es ist mehr ein Gefühl ... und ein wenig Erfahrung.«
    »Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht«, gebe ich leise zu. »Die Überlegung, meine Eltern könnten noch auf irgendeine Art und Weise bei mir sein, war der einzige Strohhalm, an den ich mich immer wieder klammerte. Und als du zurück in mein Leben gefunden hast, gab mir das zusätzliche Hoffnung. Aber ... dein Tod hat schon etwas Außergewöhnliches an sich. Ich denke nicht, dass sich deine Erfahrungen auf meine Eltern übertragen lassen. Ich meine, es kann ja sein, dass wir wiedergeboren werden, aber ich habe noch nie zuvor von jemandem gehört, der sich so
bewusst
wie du an sein früheres Leben erinnert. Warum ist das so?«
    Amy überlegt nur einen kurzen Moment. »Na ja, dafür kann es mehrere Begründungen geben. Erstens: Es gibt schon Menschen, die steif und fest behaupten, sie hätten schon einmal gelebt, denen aber natürlich keiner Glauben schenkt. Daraus folgt zweitens: Es gibt bestimmt auch einige, die sich – wie ich – ihren engsten Vertrauten offenbaren, sich ansonsten aber bedeckt halten, um nicht zwangseingeliefert zu werden. Und drittens: Es ist doch denkbar, dass einige von denen, die sich vielleicht erinnern würden, von der Außenwelt als Autisten wahrgenommen werden, genau wie ich.«
    Triumphierend sieht sie mich an. Ja, alles was sie sagt, könnte durchaus zutreffen. Und mehr als Mutmaßungen sind auf diesem Gebiet nun mal nicht möglich.
    »Aber ...«, fällt mir plötzlich ein, »... warum können sich einige wenige überhaupt an ihr früheres Leben erinnern und die meisten anderen nicht, Frau Professor der Geisteswissenschaften?«
    Die Melancholie, die eben noch herrschte, löst sich langsam wieder auf. Gott sei Dank!
    Amy zieht die Augenbrauen hoch. »Du glaubst, du hast mich? Du irrst dich! Ich habe eine Antwort für dich, Mr Oberzweifel. Es ist nämlich so: Wenn man stirbt, ... hm, wie erkläre ich dir das?«
    Sie legt die Stirn in Falten und grübelt einige Sekunden, wie sie es sagen soll.
    Es kostet mich Überwindung, den Blick von ihrem Mund zu lösen und zurück zu ihren Augen zu lenken – wie so oft, wenn sie nachdenkt, beißt sie auf ihrer Unterlippe herum.
    »Es gibt so eine Art Zwischenstufe«, sagt sie schließlich. »Eine Ebene, auf der du dich genau zwischen deinem alten und neuen Leben befindest. Das ist der Punkt, an dem du loslassen musst. Und das tat ich nicht.«
    Das klingt sehr simpel, scheint es aber nicht zu sein.
    Amys Gesicht ist plötzlich sehr ernst. Ihr Blick ist auf Bilder gerichtet, die nichts mit dem Hier und Jetzt zu tun haben, und ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Als ich auf ihre Hand herabblicke, die ich noch immer in meiner halte, bemerke ich die Gänsehaut, die sich auf ihrem Unterarm gebildet hat.
    Noch bevor sie weiterspricht, weiß ich genau, wo ihre Gedanken

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