Deine Spuren im Sand
festbanden, was nicht sicher war, und ansonsten abwarteten, dass der Sturm vorüberging wie alle anderen vorher. So machten es jedenfalls diejenigen, die es sich leisten konnten. Die Feuerwehrleute und alle anderen, die für den Schutz der Insel zuständig waren, konnten sich nicht in ihren Häusern verstecken. Sie waren unermüdlich im Einsatz, hielten fest, was der Wind mitnehmen, holten zurück, was das Meer an sich reißen wollte, konnten aber nicht verhindern, dass es mal wieder ein gutes Stück von der Insel abbiss und verschluckte. Der Strand war binnen weniger Stunden verwaist, die Kurpromenaden hatten bald alles eingebüßt, was das Promenieren schön machte, nur wenige hartgesottene Feriengäste standen gelegentlich an dem Geländer neben der Westerländer Konzertmuschel, hielten sich fest und ergötzten sich am Toben des Meeres. So, wie sie sich im nächsten Sommer daran erfreuen würden, dass sämtliche Sturmschäden beseitigt waren und die Insel wieder so einladend aussah wie vorher.
Eine ganze Woche lang tobte der Sturm, in den ersten beiden Tagen hatten so viele Touristen die Insel verlassen, dass die Eisenbahnwaggons überfüllt waren und die Autozüge in einem Takt fuhren wie sonst nur während der Hochsaison. Dann wurde ihr Dienst eingestellt. Wer bis dahin gezögert hatte, musste entweder bleiben oder mit dem Personenzug von der Insel fliehen und das Auto zurücklassen. Stunden später war auch das nicht mehr möglich, der Hindenburgdamm wurde geschlossen, die Flut hatte ihn eingenommen. Riesige Brecher gingen darüber hinweg, auf Sylt herrschte eisige Stille, während der Sturm und das Meer fauchten und brüllten.
Schon am vierten Tag jedoch setzte der Strom der Fremden wieder ein. Und das, obwohl der Sturm sich nur geringfügig gelegt hatte, obwohl nun sogar der Regen über die Insel peitschte und die Flut ihren Höhepunkt erreicht hatte. Aber immerhin wurde sie nicht mehr Sturmflut genannt, und die Autozüge hatten ihren Betrieb wieder aufgenommen.
Voll waren sie. Voll von PKWs, deren Kofferräume gefüllt waren mit Kameras, Stativen, riesigen Kisten mit Film- und Fototechnik. Auch der Tourismus kam langsam wieder in Gang. Es gab viele, die dem Spektakel unbedingt beiwohnen wollten und froh waren über die vielen freien Kapazitäten der Hotels, die mit Sonderangeboten winkten. Den Wohnungsbesitzern wurden die Schlüssel aus den Händen gerissen, wenn sie selbst gerade wegen des Spektakels auf keinen Fall ihre Sylt-Domizile beziehen wollten. Der Begriff »Hochzeit des Jahres« prangte bereits auf sämtlichen Titelseiten, der Blätterwald rauschte vernehmlich.
Das Team der Close up war im Hotel Stadt Hamburg in Westerland abgestiegen. Piet Röder residierte in einer der Suiten, einige seiner Leute waren nach Keitum gefahren, um etwas von den Hochzeitsvorbereitungen in der Wattrose zu erhaschen, was eine Meldung lohnte, andere trieben sich vorm Rathaus in Westerland herum, für den Fall, dass sich dort vorzeitig prominente Hochzeitsgäste einfanden.
Röder sah ärgerlich auf, als Berno eintrat. »Was machen Sie noch hier? Warum sind Sie nicht in Keitum?«
»Alex hat eine interessante Mail bekommen«, entgegnete Berno. »Von einem treuen Leser, der uns einen Gefallen tun will. Er behauptet, die standesamtliche Trauung habe längst stattgefunden und die kirchliche beginne in zwei Stunden.«
Piet Röder sprang auf und kam auf Berno zu, so dass der unwillkürlich zurückwich. »In der Pressemitteilung steht, dass es nur eine standesamtliche Trauung geben wird. Und zwar heute um sechzehn Uhr!«
»Das ist anscheinend eine Finte, um die Presse an den falschen Ort zu locken«, sagte Berno. »Alex ist schon losgefahren und klappert alle Sylter Kirchen ab. Soll ich ihm folgen? Alex’ Fotos sind selten gut.«
»Wie glaubhaft ist diese Nachricht?«, fragte Röder.
»Absolut glaubhaft!«, gab Berno zurück. »Alex kennt den Absender. Er sagt, der habe ihm damals die privaten Fotos von Emily Funke geschickt. Ein Mann, der gut informiert ist. Vielleicht ein Bekannter der Funke?«
Aufmerksam sah er in Röders verblüfftes Gesicht. Und ein Lächeln stahl sich in seine Augen, als der Chefredakteur sich abrupt umwandte, zum Fenster ging und hinaussah. So hilflos, ratlos und verloren hatte Berno ihn noch nie gesehen.
»Wirklich derselbe Informant?«, fragte Röder und drehte sich zurück. Der Chefredakteur ließ sich selten in die Karten gucken, jetzt allerdings war seine Miene ein Buch ohne Siegel. »Das
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