Deine Steuern sollst du zahlen (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
vielleicht sogar Fragen stelle. Es schien, als ob ihr der Aufenthalt in Aarau die Realität des Todes ihres grossen Bruders plötzlich sehr nahe gebracht habe, so dass die erfahrene Geschäftsfrau dankbar war für moralischen Beistand.
Im Treuhandbüro Naef duftete es wunderbar nach Kaffee, und die Damen wurden sehr freundlich empfangen. Edith Buchmann stellte dem Treuhänder ihre Begleiterin vor und bestätigte, dass sie nicht als Polizistin, sondern als Person ihres Vertrauens dabei sei. Die Identitätsausweise wurden überprüft; dann bat Otto Naef sie in sein Büro, schenkte Kaffee ein und kam gleich zur Sache.
„Ich habe hier ein Testament Ihres Bruders, Frau Buchmann, das er vor zehn Jahren aufgesetzt hat. Sie sind als Haupterbin eingesetzt und gleichzeitig als Testamentsvollstreckerin. Mit anderen Worten: alles, was Gion Matossi besass, gehört Ihnen, zumindest nach diesem Testament. Das Erbe umfasst die Einrichtung seiner Mietwohnung, sämtliche persönlichen Gegenstände, alle Gelder, die auf seinen Bankkonten liegen, sowie weitere Wertsachen aus seinem Besitz. Umgekehrt müssen Sie für folgende Kosten aufkommen: die Bestattung des Verstorbenen, Grabstein und Pflege des Grabes bis zur Aufhebung, die Räumung und Reinigung der Wohnung, die Miete bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, und allfällige weitere Kosten, die aus dem Tod von Gion Matossi entstehen.“ Er machte eine kurze Pause und fragte dann: „Ist das für Sie verständlich, Frau Buchmann?“
Sie nickte. „Ja, bisher schon. Ich gehe davon aus, dass Sie nicht wissen, wieviel Geld Gion auf der Bank hatte.“
„Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen, aber vielleicht weiss Frau Kaufmann mehr?“
Angela räusperte sich. „Nun, ganz genau weiss ich es nicht, vor allem kann es sein, dass wir noch nicht alle Konten kennen. Auf dem Kontokorrent liegen ungefähr zwanzigtausend Franken, und es gibt ein Sparkonto von weiteren hundertzwanzigtausend. Die Kosten sind also auf jeden Fall gedeckt.“
„Danke, Frau Kaufmann, das hilft uns sehr.“
Otto Naef war ein erfahrener Treuhänder, und er wusste, dass es für manche Erben sehr wichtig war zu wissen, in welchem Rahmen sich ihre Erbschaft bewegte. „Ich möchte Ihnen noch den letzten Satz des Testaments vorlesen, Frau Buchmann, denn darin liegt möglicherweise Sprengstoff verborgen. Hier heisst es: 'Allfällige weitere Instruktionen, die zwischen diesem Testament und meinem Tod notwendig werden, sind deponiert in meinem Schliessfach in der Ersparnisgesellschaft Kütttigen EGK. Der Schlüssel dazu befindet sich in meiner Wohnung.' Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es solche Instruktionen gibt, und wenn ja, was ihr Inhalt ist; das müssen Sie selbst herausfinden. Ich empfehle Ihnen, das Schliessfach möglichst rasch zu öffnen, damit Sie Klarheit haben, auch über Ihre Aufgaben als Testamentsvollstreckerin.“
„Das dürfte nicht ganz einfach sein“, sagte Angela. „Wir haben bereits gründlich nach Unterlagen und Schlüsseln gesucht, aber bisher nichts gefunden. Ist es möglich, dass man Frau Buchmann das Fach öffnet, auch wenn sie keinen Schlüssel mitbringt?“
„Vielleicht hilft es, wenn Sie eine Kopie des Testaments vorweisen können. Fahren Sie doch auf dem Rückweg bei der EGK vorbei und fragen Sie. Man kann Ihnen dort sicher auch zeigen, wie der Schlüssel aussieht, dann wissen Sie, wonach Sie suchen müssen. Rufen Sie mich an, wenn man Ihnen Schwierigkeiten macht.“
Bevor die beiden Frauen sich verabschiedeten, hatte Angela noch eine letzte Frage an den Treuhänder. „Warum hat Gion Matossi vor zehn Jahren ein Testament geschrieben und es bei Ihnen deponiert?“
„Gute Frage, Frau Kaufmann, und leider eine ganz banale Antwort. Wir lernten uns an einem Seminar über Pauschalbesteuerung kennen und plauderten beim Mittagessen über Erbschaftssteuern, Stiftungen und Legate. Ein paar Tage später kam er vorbei und übergab mir seinen letzten Willen zur Aufbewahrung. Ihm war wohl einfach klar geworden, wie wichtig ein Testament ist.“
„Und hatten Sie seither Kontakt mit ihm?“
Naef schüttelte den Kopf. „Ich erklärte ihm damals, dass er periodisch ein neues Testament schreiben könne, dass es aber auch die Möglichkeit gebe, neue Instruktionen woanders zu hinterlegen. Deshalb hat er den letzten Satz dazugeschrieben. Ich habe ihn nicht mehr gesehen und auch nichts mehr von ihm gehört seither.“
*
Bei der Ersparniskasse in Küttigen wurde das Anliegen von Edith Buchmann
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