Delete: Thriller (German Edition)
sie nicht begeistert war, am Sonntagabend hier sein zu müssen – schon gar nicht aus diesem Grund.
Zu dritt durchschritten sie eine Sicherheitsschleuse und betraten die Klinik, einen modernen Bau, der auf den ersten Blick nicht von einem Nebengebäude eines gewöhnlichen Krankenhauses zu unterscheiden war. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit Bürstenschnitt in dunkelblauer Uniform empfing sie. Er stellte sich als Toralf Grundberg, Leiter der Sicherheitsabteilung, vor. »Ich möchte Ihnen versichern, dass es in der ganzen Zeit, die unsere Firma Sicherungsaufgaben für den Maßregelvollzug des Landes Berlin übernimmt, nie zu irgendeinem Zwischenfall gekommen ist«, begann er. »Schon gar nicht zur Flucht eines Patienten. Wir können uns das nicht erklären.«
»Was genau ist passiert?«, fragte Eisenberg.
»Der Patient Körner war in einem Einzelraum untergebracht, der vorschriftsmäßig gestern Abend um zweiundzwanzig Uhr verschlossen wurde«, sagte Grundberg. »Als ein Pfleger ihn heute Morgen um sieben Uhr wecken wollte, um ihm seine Medikamente zu verabreichen, fand er den Raum verschlossen vor, aber leer.«
»Wer hatte Zugang zu dem Raum?«
»Meine Mitarbeiter und das medizinische Personal. Aber alle Öffnungs- und Schließvorgänge der elektronischen Schlösser werden aufgezeichnet. Es gab zwischen zweiundzwanzig und sieben Uhr keinen solchen Vorgang.«
Eisenberg musterte ihn kritisch. »Kann ich den Raum bitte sehen?«
»Natürlich. Bitte folgen Sie mir.« Er führte sie durch ein Treppenhaus und einen Gang entlang bis zu einem etwa fünfzehn Quadratmeter großen Raum mit abgeteiltem Bad. Die Tür besaß ein elektronisches Schloss mit einem Kartenleser, das nur von außen geöffnet werden konnte. Die Einrichtung war karg, aber freundlich – ein Bett, ein Schreibtisch, ein Fernseher, zwei Sessel, ein Bücherregal, ein Kleiderschrank. Das Fenster gab den Blick auf einen kleinen Innenhof frei. Es hatte keinen erkennbaren Öffnungsmechanismus.
»Das Fenster lässt sich nicht öffnen, weder von innen noch von außen«, sagte Grundberg. »Die Frischluftzufuhr erfolgt durch die Lüftung dort oben in der Decke.«
Eisenberg warf einen Blick nach oben. Die Abdeckung der Lüftung maß gerade einmal zwanzig Zentimeter im Quadrat. Keine Chance für eine Flucht durch den Lüftungsschacht im Mission Impossible -Stil.
»Er kann also nur von jemandem herausgelassen worden sein«, stellte Eisenberg fest.
»Theoretisch ja. Aber praktisch kann das nicht sein«, widersprach der Sicherheitschef.
»Wenn es nicht sein könnte, dann wäre er jetzt noch hier«, sagte Eisenberg.
Grundberg hatte darauf keine Antwort.
»Was ist mit Videoaufzeichnungen?«, fragte Eisenberg.
»Die Patientenzimmer dürfen wir nicht überwachen«, sagte Grundberg in einem Tonfall, der klarstellte, dass er das sehr bedauerlich fand. »Aber wir haben eine Kamera im Flur, sogar mit Infrarotfunktion.«
»Haben Sie die Aufzeichnungen überprüft?«
»Natürlich. Es gab ein paar vorschriftsmäßige Patrouillengänge, und gegen zwei Uhr morgens musste die Patientin aus Zimmer zwölf sediert werden. Aber niemand hat sich letzte Nacht an dieser Tür zu schaffen gemacht. Niemand hat das Zimmer betreten oder verlassen. Da stimmen die Aufzeichnungen der Schließanlage, die Videoüberwachung und die Aussagen aller Mitarbeiter der Klinik überein.«
»Ich würde gern mit dem Arzt sprechen, der Körner behandelt hat«, sagte Morani, die bisher geschwiegen hatte.
»Natürlich. Das ist Frau Dr. Jenisch. Bitte folgen Sie mir!«
Dr. Jenisch war eine erfahrene Psychiaterin mit einem runden, gutmütigen Gesicht, das Eisenberg an ein Fruchtsaft-Flaschenetikett aus seiner Kindheit erinnerte. Sie sprach mit einer sanften, eindringlichen Stimme, als seien Eisenberg und Morani neu aufgenommene Patienten.
»Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Welche Diagnose haben Sie bezüglich Julius Körner gestellt?«, fragte Morani.
»Ich habe die Diagnose nicht selbst gestellt«, erklärte Jenisch. »Körner wurde von zwei vom Gericht beauftragten Psychiatern untersucht, die beide einen schweren Fall von paranoider Schizophrenie diagnostizierten und auch seine Medikation bestimmt haben. Ich habe nur ausgeführt, was man mir aufgetragen hat.«
»Dennoch haben Sie sicher eine eigene Meinung zu dem Fall«, sagte Morani.
Jenisch nickte.
»Dem äußeren Anschein nach würde ich die Diagnose der beiden Herren bestätigen.«
»Aber?«
»Nun ja, wir haben hier
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